Der Weltmarkt für Nutzfahrzeuge und Lastkraftwagen wird bislang vom deutschen Konzern Daimler dominiert. Das Unternehmen brachte es im vergangenen Jahr dem Branchendienst IHS Automotive zufolge auf 355.000 verkaufte Nutzfahrzeuge. In der Oberklasse folgen danach Volkswagen mit seiner eigenen Nutzfahrzeugsparte, den Tochterunternehmen MAN und Scania (178.500) sowie Volvo Trucks mit 177.200 verkauften Fahrzeugen.
Aufgemischt wird der Markt inzwischen allerdings vor allem durch chinesische Volumenhersteller wie Dongfeng (264.400) und First Automotive Works (180.800). Gerade in Schwellenländern Asiens, Südamerikas und Afrika fordern die asiatischen Billiganbieter die westeuropäische Konkurrenz heraus.
Die großen westlichen Hersteller reagieren darauf unterschiedlich: Daimler setzt weltweit vor allem auf Markenvielfalt. Neben der Kernmarke Mercedes, verkaufen die Stuttgarter ihre Lastwagen unter den Markennamen Freightliner und Western Star (USA), Fuso (China), Kamaz (Russland) und Bharat Benz (Indien).
Volvo Trucks hingegen verkauft die eigenen Schwerlaster in Europa und den Vereinigten Staaten jeweils unter der Hausmarke. Gleichzeitig setzen die Schweden auf eine enge Verbindung mit dem vor allem bei leichteren Fahrzeugen erfolgreichen chinesischen Wettbewerber Dongfeng, mit dem Volvo Trucks seit Anfang 2013 ein Joint Venture unterhält. Volkswagen indes setzt auf die Integration seiner Nutzfahrzeugsparte und der beiden Konzerntöchter Scania und MAN.
Um diese Strategie umzusetzen, übernahmen die Wolfsburger im Frühjahr 2014 die restlichen Anteile ihrer Mehrheitsbeteiligung Scania. Schon im Juni 2013 hatte Volkswagen zuvor einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der ebenfalls übernommenen MAN SE durchgesetzt.
Die Bewertung
Lohnen soll sich die Übernahme Volkswagen zufolge vor allem durch Synergien zwischen den Konzernmarken Scania und MAN. Bei Motoren, Getrieben und Motoren rechnet Volkswagen in den kommenden zehn Jahren mit Einsparungen von rund 850 Millionen Euro. Außerdem könnten günstigere Einkaufsbedingungen im Konzerngefüge, beispielsweise bei Stahlpreisen, Potenziale heben.
Global betrachtet ist Volkswagen allerdings trotz der Integration der beiden Lkw-Hersteller Sanica und MAN weiterhin nicht im US-Markt vertreten. Zudem machen MAN in den Schwellenländern vor allem Billighersteller aus China und Indien Konkurrenz. Insbesondere in Brasilien lief es im vergangenen Geschäftsjahr schlecht. In Europa profitierte MAN zudem bis Ende 2013 von Vorzieheffekten, da viele Spediteure sich noch vor Inkrafttreten der neuen strengeren Abgasnorm Euro 6 neue Lastwagen in den Fuhpark geholt hatten. Diese Anschaffungen entfallen seither und in den kommenden Jahren.
Die gedämpften Aussichten von MAN führten unter anderem dazu, dass der Konzern von Oktober 2014 bis Januar 2015 in seinen Werken Salzgitter und Steyr Kurzarbeit angekündigt hat.
Das Spruchverfahren
Den schlechten Wirtschaftsdaten zum Trotz haben 162 Aktionäre beim Landgericht München I Anträge zur Bestimmung einer höheren, aus ihrer Sicht angemesseneren, Barabfindung oder einer höheren jährlichen Ausgleichszahlung gestellt. Interessant an diesem Spruchverfahren ist, dass es sich vor allem um kleinere Beteiligungen handelt, also keiner der Aktionäre direkt oder indirekt mehr als 3 Prozent der Stimmrechte an der MAN SE hält.
Ein Argument für eine höhere Barabfindung lautet, dass die der Unternehmensbewertung zugrunde gelegte Planungsrechnung nicht die wahren Ertragspotenziale der MAN SE widerspiegele.
Die Kritikpunkte der Antragsteller
Unternehmensplanung: Der Terminal Value sei wegen des geplanten Ergebnisrückgangs um dauerhaft 24 Prozent zu niedrig angesetzt worden.
Bewertungsparameter: Der Kapitalisierungszinssatz und andere Parameter seien zu hoch angesetzt worden.
Ausgleich: Der Verrentungszinssatz sei durch das Abstellen auf die angebliche Bonität der Konzernmutter zu niedrig angesetzt worden.
Rolle der Prüfer: Das Bewertungsmodell wurde nur zur Kenntnis genommen, es wurde aber nicht überprüft.
Die Parteien
Zuständiges Gericht, Vorsitzender Richter: LG München I, Dr. Helmut Krenek / OLG München, VRiOLG Rieder
Aktenzeichen: 5 HK O 16371/13 / 31 Wx 382/15
Antragsgegner: Truck & Bus GmbH
Gemeinsame Vertreterin der Antragsteller: Rechtsanwältin Daniela Bergdolt
Der aktuelle Verfahrensstand
zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen derTruck & Bus GmbH (Antragsgegnerin) als herrschender Gesellschaft und der MAN SE (Zielgesellschaft) als beherrschter Gesellschaft
Die Antragsgegnerin hat mit der Zielgesellschaft am 26. April 2013 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen. Diesem Vertrag hat die ordentliche Hauptversammlung der Zielgesellschaft am 6. Juni 2013 zugestimmt.
Darin verpflichtet sich die Antragsgegnerin, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Volkswagen AG, unter anderem den außenstehenden Aktionären der Zielgesellschaft eine jährliche Ausgleichszahlung in Höhe von 3,30 Euro brutto (netto 3,07 Euro) bzw. eine Barabfindung in Höhe von 80,89 Euro zu zahlen.
Betroffen sind insgesamt rund 38,64 Millionen Aktien der Zielgesellschaft, was 26,28 Prozent des Grundkapitals bzw. 24,97 Prozent des stimmberechtigten Kapitals entspricht. Davon sind wiederum 35,2 Millionen Stück Stammaktien und 3,44 Millionen Stück Vorzugsaktien. Angabegemäß stehen keinem außenstehenden Aktionär direkt oder indirekt mehr als 3 Prozent der Stimmrechte zu.
Zum Zwecke der Bestimmung einer höheren angemessenen Barabfindung und angemessenen Ausgleichs haben 162 Aktionäre der Zielgesellschaft gemäß §§ 304 Abs. 3 S. 3, 305 Abs. 5 S. 2 AktG Anträge auf Einleitung eines Spruchverfahrens gestellt. Diese Anträge waren unter Az. 5 HK O 16371/13 beim Landgericht München I anhängig. Mit Beschluss vom 31. Juli 2015 hat das Landgericht die Barabfindung auf 90,29 EUR erhöht, die jährliche Ausgleichszahlung aber unverändert belassen. Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegnerin und verschiedene Antragsteller Beschwerde eingelegt, die beim OLG München unter Az. 31 Wx 382/15 geführt wird.
Auch die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger (Vzfk) ist an dem Spruchverfahren beteiligt. Auch sie sieht die Zielgesellschaft deutlich unterbewertet. Insbesondere spiegele die der Unternehmensbewertung zugrunde gelegte Planungsrechnung nicht die wahren Ertragspotenziale der MAN SE wider, weil die Ergebnisse im Terminal Value um fast 24 Prozent rückläufig gegenüber dem letzten Detailplanungsjahr geplant wurden. Nur so konnte die Antragsgegnerin in Verbindung mit einem überhöhten Kapitalisierungszinssatz den Ertragswert der Zielgesellschaft auf den ohnehin abzufindenden Börsenkurs drücken.
Am 12. Juni 2014 fand eine erste mündliche Verhandlung unter Anhörung der vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfer statt. Die Vielzahl der offenen Bewertungsfragen führte dazu, dass ein Fortsetzungstermin am 1. Oktober und ein weiterer am 16. Dezember 2014 angesetzt wurde.
Gegenstand der Verhandlung am 16. Dezember waren die noch offenen Fragen zur Berechnung der Ergebnisse im Terminal Value (Endwert der Investition) und der Wachstumsabschlag.
Der Terminal Value wurde im Verhältnis zum letzten Detailjahr (2017) um 6,29 Prozent (Umsatz) bzw. 23,87 Prozent (Ebit) rückläufig geplant. Aufgrund der Hebelwirkung der ewigen Rente steht und fällt damit die von der Antragsgegnerin angebotene Kompensation.
Die Antragsgegnerin begründet den Rückgang mit dem Konjunkturzyklus. Dem Prüfer zufolge müsse nach sechs Jahren Steigerung konjunkturell mit einem Rückgang gerechnet werden. Daher sei das letzte Planjahr (2017) keine geeignete Grundlage zur Ableitung der ewigen Rente.
Die Antragsteller kritisierten hingegen, dass die Gesellschaft tatsächlich selbst auch über das Jahr 2017 hinaus mit steigenden Absatzzahlen plante. Darüber hinaus habe die Gesellschaft nur die geplanten Absatzzahlen für fünf ausgewählte Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und Türkei) vorgelegt.
Ein zweiter Streitpunkt waren die prognostizierten Absatzzahlen. Aus der Vergangenheit ergab sich im wichtigsten Markt, Deutschland, eine durchschnittliche Absatzmenge von 80.000 Lkw jährlich. Für die Berechnung des Terminal Value wurde zusätzlich Wachstum und deshalb ein Absatz von gut 83.000 Lkw geplant. Die Antragsteller kritisierten, dass durch die Vergangenheitsbetrachtung der Zahlen von 1996 bis 2012 außergewöhnliche Einbrüche wie die Terroranschläge von „9/11″ im Jahr 2001 oder die Finanzmarktkrise von 2008 als für alle Zukunft wiederkehrend unterstellt würden.
Ein dritter Streitpunkt war die nach Ansicht der Antragsteller nicht ausreichende Einbeziehung von Analystenprognosen durch den Prüfer. Letzterer begründete dies damit, dass er entsprechende Studien nach fünf Jahren für nicht mehr belastbar halte. So entbrannte eine Diskussion darüber, ob die mathematische Ableitung von Durchschnitten aus der Vergangenheit besser geeignet sei als stichtagsnahe Analystenschätzungen.
Zweites großes Thema des Verhandlungstages war der Wachstumsabschlag. Die Antragsgegnerin bemisst diesen auf 1 Prozent. In wie weit die Gesellschaft in der Vergangenheit in der Lage gewesen sei, Kosten für inflationsbedingtes Wachstum an Kunden abzuwälzen, hat der Prüfer eigenen Aussagen zufolge nicht geprüft.
Dass der Prüfer gar nicht untersucht habe, ob nicht eine volle oder sogar mehr als 100-prozentige Überwälzung zum Beispiel mit der Begründung gestiegener Materialkosten möglich war, kritisierten wiederum die Antragsteller. Zudem seien auch Überwälzungen nicht allein im Vergleich Absatzpreis zu Materialkosten zu erkennen. Vielmehr müsse auch die Effizienzsteigerung mit beachtet werden, so dass auch bei nicht voller Kostenüberwälzung durch verbesserte neue Technik oder Material Effizienzsteigerungen eintreten können, die nur indirekt weitergegeben werden. Das habe der Prüfer unbeachtet gelassen.
Auf Antrag beschloss das Gericht, dass die Antragsgegnerin bis zum 30. Januar 2015 die integrierte Planungsrechnung (= Planbilanzen und Plan-GuV) mindestens bis 2017 vorlegen müsse. Nach Vorlage dieser Planbilanzen erhielten alle Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Als Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde der 31. Juli 2015 festgelegt.
Das Gericht entschied schließlich, dass die Barabfindung für die Aktionäre von 80,89 Euro auf 90,29 Euro zu erhöhen sei. Die jährliche Ausgleichszahlung von 3,30 Euro brutto, welche die Dividende ersetzen soll, hat das Gericht nicht nach oben korrigiert.
Gegen diesen Beschluss legten die Antragsgegnerin und verschiedene Antragsteller Beschwerde beim OLG München ein. Mit Beschluss vom 29. Juni 2018 setzte das OLG München die Barabfindung auf 90,29 Euro und den Ausgleich auf 5,50 Euro brutto (abzüglich etwaiger Körperschaftssteuer und etwaigem Solidaritätszuschlag nach dem jeweils für diese Steuern für das betreffende Geschäftsjahr geltenden Steuersatz) je Aktie fest.
Das Spruchverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.
Die Termine
31. Juli 2015: Beschluss des Landgerichts München I (Abschluss erste Instanz)
24. November 2015: Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts München I über die Beschwerden der Antragsgegnerin und von Antragstellern (Abgabe an das Oberlandesgericht München)
15. März 2016: Frist zur (weiteren) Begründung der Beschwerden
15. Mai 2016: Erwiderungsfrist der Antragsgegnerin auf die (weiteren) Beschwerdebegründungen der Antragsteller
30. Juni 2016: Stellungnahmefrist der gemeinsamen Vertreterin der außenstehenden Aktionäre
29. Juni 2018: Beschluss des Oberlandesgerichts München (Abschluss zweite Instanz)
(Stand: 5. Juli 2018)
Schreiben Sie einen Kommentar