Die Hintergründe, die zum Squeeze-out der Altana AG und schließlich zum folgenden Spruchverfahren geführt haben, gehen auf den Zweiten Weltkrieg zurück. 1941 hatte der den Nazis nahestehende Unternehmer Günther Quandt – damals Vorstandsvorsitzender der AFA (Akkumulatoren-Fabrik AG), der späteren Varta AG – die Aktienmehrheit des Chemieunternehmens BYK-Gulden Lomberg übernommen.
Anschließend integrierte er das Chemieunternehmen in seine Unternehmensgruppe. Nach dem Tod Günther Quandts im Jahre 1954 gingen die Anteile an dessen siebzehn Unternehmen zählenden Firmenkonglomerat auf die Söhne Herbert und Harald Quandt über. Diese teilten 1977 die alte Varta AG untereinander auf. Es entstanden die Unternehmen Varta für Batterien und Kunststoffe, Ceag für Elektronik sowie Altana für Chemie- und Pharmazieprodukte.
Herbert Quandt wurde so zum ersten Vorstandvorsitzenden von Altanta. Noch im selben Jahr brachte er das Unternehmen an die Börse. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Altana AG dynamisch, sowohl durch eine konsequente Internationalisierung als auch durch Zukäufe. Der Aufstieg in den Dax gelang im September 2002. Im selben Jahr folgte auch ein Listing an der New York Stock Exchange.
Zwischen 1986 und 2005 erfolgte eine vollständige Reorganisation des Konzerns unter Bildung der vier Geschäftssparten, Additives & Instruments, Effect Pigments, Electrical Insulation und Coating & Sealants. Die weitere Geschäftssparte Pharma verkaufte der Konzern 2007 an den dänischen Wettbewerber Nycomed und beendete in diesem Zuge auch sein Listing an der New York Stock Exchange.
Die Pharmasparte Altanas hatte bis dato rund 9000 der damals 13.500 Mitarbeiter und zwei Drittel der Umsätze von insgesamt 3,9 Milliarden Euro in 2006 auf sich vereinigt. Übrig blieb nach dem Verkauf die Spezialchemiesparte, die 2006 rund 1,3 Milliarden Euro umgesetzt hatte, bei einem Ergebnis vor Abschreibungen, Zinsen und Steuern (EBITDA) von 237 Millionen Euro.
Der zweite Einschnitt aus Sicht der Aktionäre erfolgte im November 2008, als Susanne Klatten, Erbin des 1982 verstorbenen Herbert Quandts, mit ihrer Beteiligungsgesellschaft SKion die geplante Komplettübernahme der Altana AG verkündete. Die dazu erforderliche Mehrheit an Aktien erwarb sie durch zwei freiwillige Übernahmeangebote in den Jahren 2008 und 2009. Am 30. Juni 2010 beschloss dann die ordentliche Hauptversammlung, die verbleibenden Altana-Aktien auf die Hauptaktionärin gegen Gewährung einer Barabfindung zu übertragen. Somit wurde Altana, nach 33 Jahren, wieder zu einem nicht börsennotierten Familienunternehmen.
Die Bewertung
Die SKion GmbH hat im Zuge des Squeeze-outs eine Barabfindung von 15,01 Euro je Altana-Aktie gezahlt. Diese Barabfindung zu Grunde gelegt, wurde der Konzern bei seiner Komplettübernahme mit gut zwei Milliarden Euro bewertet.
Dem gegenüber stand im Geschäftsjahr 2010 ein Umsatz von 1,535 Milliarden Euro. Vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) verdiente Altana 314,1 Millionen Euro. Ende 2010 beschäftigte das Unternehmen weltweit 4937 Mitarbeiter, wobei der internationale Umsatzanteil bei rund 84 Prozent lag.
Die Altana Gruppe verfügte 2010 über 36 Produktionsstätten und 47 Service- und Forschungslaborstandorte weltweit. Die regionale Diversifizierung verteilte somit auch die konjunkturellen Risiken des Spezialchemiekonzerns. Dennoch war das Unternehmen zum Zeitpunkt des Squeeze-outs anfällig für konjunkturelle Schocks.
Dies hatte sich kurz zuvor in der durch die Lehman-Pleite im September 2008 ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt. Trotz zweistelliger Umsatzeinbußen schrieb das Unternehmen in den folgenden Quartalen allerdings keine Verluste.
Das in vier Geschäftsbereiche (Byk, Eckart, Elantas, Actega) unterteilte Produktportfolio Altanas bediente zum Zeitpunkt des Squeeze-outs vor allem Lackhersteller und Lackverarbeiter, Kunststoffverarbeiter, die Druckindustrie, die Kosmetikindustrie und die Elektroindustrie.
Der Konzern lieferte unter anderem Additive, Speziallacke und Spezialklebstoffe, Effektpigmente, Dichtungsmassen, Vergussmassen und Imprägniermittel, weshalb die Abhängigkeit von Rohstoffpreisen eine bedeutende Rolle spielte.
Das Spruchverfahren
Für die Altana AG hatte die Milliardärserbin Susanne Klatten, Eignerin der Skion GmbH, bereits 2008 und 2009 öffentliche Erwerbsangebote in Höhe von 13,00 Euro bzw. 14,00 Euro je Aktie abgegeben. Der am 30. Juni 2010 beschlossene Squeeze-out schloss die Übernahme des Chemiekonzerns ab. Zugrunde gelegt wurde dabei zuletzt eine Barabfindung von 15,01 Euro je Aktien, was dem durchschnittlichen gewichteten Börsenkurs im Dreimonatszeitraum vor Bekanntgabe des geplanten Squeeze-out entsprach.
140 Antragsteller halten diese Barabfindung allerdings für nicht angemessen. Sie haben deshalb ein Spruchverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf angestrengt. Auch das Gericht scheint Zweifel an der Angemessenheit der Barabfindung zu hegen. Es hat ohne vorherige mündliche Verhandlung ein neues Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.
Dieses wurde am 17. Mai 2016 vorgelegt. Darin gelangt der Sachverständige Creutzmann, IVA Valuation & Advisory AG, zu einem Unternehmenswert in Höhe von rund 2,358 Milliarden Euro und einer angemessenen Barabfindung in Höhe von 17,33 Euro je Aktie.
Kritikpunkte der Antragsteller
Plan-Ist-Vergleich: Der Bewertungsstichtag fiel mit dem Halbjahresstichtag zusammen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei absehbar gewesen, dass das Ergebnis des ersten Planjahres – das Geschäftsjahr 2010 – deutlich übertroffen würde. Tatsächlich fiel das Konzernergebnis um fast 40 Millionen Euro höher aus als geplant, was einer Differenz von 35 Prozent entspricht.
Akquisitionen: Altana habe noch vor dem Bewertungsstichtag Akquisen getätigt, die zu einem Umsatzplus im ersten Halbjahr von 4 Prozent geführt hätten. Aus Sicht der Antragsteller seien diese Akquisen nicht ausreichend in der Unternehmensbewertung berücksichtigt worden.
Ertragsteuern: Zweifel hegen die Antragsteller auch hinsichtlich der Berücksichtigung steuerlicher Verlustvorträge im Konzern. Ob diese tatsächlich in vollem Umfang berücksichtigt wurden, hat der vom Gericht bestellte Sachverständige zu prüfen.
Sonderwerte: Auch der Wert der nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte und Sonderwerte wird von den Antragstellern angegriffen. Hierbei geht es insbesondere um den Bestand liquider Mittel.
Die Parteien
Zuständiges Gericht: Landgericht Düsseldorf; Oberlandesgericht Düsseldorf
Vorsitzender Richter: Dr. Ulrike Bardo
Aktenzeichen: 39 O 50/10 [AktE]; I-26 W 13/20 AktE
Antragsgegner: SKion GmbH (Alleingesellschafterin Susanne Klatten)
Antragsgegnervertreter: Hengeler Mueller, Rechtsanwältin Dr. Daniela Favoccia, Rechtsanwältin Manuela Roeding
Gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Peter Dreier, Düsseldorf
Sachverständiger: WP, StB Andreas Creutzmann (c/o IVA Valuation & Advisory AG)
Gesellschaft: ALTANA AG, WKN: 760080, ISIN: DE0007600801
Der Verfahrensverlauf
zum Squeeze-out der Minderheitsaktionäre der Altana AG (Zielgesellschaft) durch die Skion GmbH (Antragsgegnerin).
Bereits am 6. November 2008 und am 22. Oktober 2009 hatte die Antragsgegnerin öffentliche Erwerbsangebote zum Kauf von Aktien der Zielgesellschaft zum Angebotspreis von 13,00 Euro und 14,00 Euro je Aktie unterbreitet. Die für einen Squeeze-out erforderlichen Anteile von mindestens 95 Prozent erwarb die Antragsgegnerin jedoch erst durch ergänzende Aktienkaufverträge zum Preis von jeweils 15,50 Euro je Aktie.
Am 2. Februar 2010 richtete die Antragsgegnerin das Verlangen an die Zielgesellschaft, die Aktien der übrigen Aktionäre auf sie zu übertragen. Am 29. April 2010 hat die Antragsgegnerin ihr Verlangen unter Angabe des Angebotspreises von 15,01 Euro je Aktie konkretisiert.
Die Hauptversammlung der Altana AG hat dann am 30. Juni 2010 den Beschluss gefasst, „die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre der ALTANA AG mit Sitz in Wesel werden gemäß dem Verfahren zum Ausschluss von Minderheitsaktionären, §§ 327a ff. Aktiengesetz, gegen Gewährung einer von der Hauptaktionärin, SKion GmbH mit Sitz in Bad Homburg v. d. Höhe, zu zahlenden angemessenen Barabfindung in Höhe von EUR 15,01 je auf den Inhaber lautender Stückaktie mit einem anteiligen Betrag des Grundkapitals in Höhe von EUR 1,00 auf die Hauptaktionärin übertragen.“
Das Handelsregister beim Amtsgericht Duisburg hat den Übertragungsbeschluss am 27. August 2010 eingetragen und die Eintragung am 3. September 2010 bekannt gemacht.
Zum Zwecke der Bestimmung einer höheren angemessenen Barabfindung haben 140 Aktionäre der Zielgesellschaft gemäß § 327f AktG Anträge auf Einleitung eines Spruchverfahrens gestellt. Diese Anträge sind unter Az. 39 O 50/10 [AktE] beim Landgericht Düsseldorf anhängig.
Ohne vorherige mündliche Verhandlung hat das Landgericht am 11. Juli 2013 beschlossen, Beweis über die Angemessenheit der Barabfindung durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu erheben. Zum Sachverständigen wurde am 26. September 2013 der Wirtschaftsprüfer Andreas Creutzmann bestellt. Dem Sachverständigen wurde auferlegt, eine Neubewertung der Altana vorzunehmen.
Der Sachverständige hat sein Gutachten, das bereits für das erste Halbjahr 2015 angekündigt war, am 17. Mai 2016 vorgelegt. Darin gelangt er zu einem Unternehmenswert in Höhe von 17,33 Euro je Aktie. Trotz der vom Sachverständigen errechneten Erhöhung der Barabfindung um gut 15%, monieren Antragsteller den Wert immer noch als unangemessen. Kritik erntet insbesondere die Abweichung zwischen IST-Ergebnissen und PLAN-Annahmen des Sachverständigen sowie die Absenkung des Wachstumsabschlags.
Mit Beschluss vom 27. Juli 2017 bestimmte das Gericht für den 2. Februar 2018 einen Beweistermin, in dem der Sachverständige zu den Einwendungen der Antragsteller, des gemeinsamen Vertreter und der Antragsgegnerin gegen das Gutachten sowie zu weiteren Fragen des Gerichts Stellung nehmen soll.
In dem am 2. Februar 2018 stattgefundenen Beweistermin versuchte die Antragsgegnerin mit großer Aggressivität die Feststellungen des Sachverständigen zu erschüttern. Der Sachverständige hatte die Planungsrechnung der Antragsgegnerin modifiziert. Die Antragsgegnerin hält die Vorgehensweise für rechtlich unzulässig. Die Planungsrechnung des Vorstands sei ihrer Ansicht nach sakrosankt. Diese Rechtsfrage muss vom Gericht geklärt werden.
Jedoch liegen selbst die vom Sachverständigen geplanten Erlöse und Ergebnisse weit unter dem tatsächlichen IST. Deshalb meinte auch das Gericht, dass die Antragsgegnerin selbst unter der Annahme einer Plananpassung immer noch ein „Schnäppchen“ gemacht habe.
In Alternativberechnungen mit abweichenden Kapitalisierungsparametern gelangt der Sachverständige zu deutlich höheren Abfindungswerten von bis zu 23,70 Euro je Aktie. Die Vergleichsverhandlungen blieben zunächst ergebnislos.
Mit Beschluss vom 12. August 2020 hat das Landgericht Düsseldorf die Barabfindung auf 17,33 Euro festgesetzt. Damit folgt das Gericht dem Sachverständigen.
Im Anschluss legten die Antragsgegnerin und einige Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Düsseldorf ein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf wies die Beschwerden mit Beschluss vom 18. März 2024 zurück. Es bleibt bei der Erhöhung der Barabfindung von 15,01 Euro auf 17,33 Euro je Aktie. Das Verfahren ist damit rechtskräftig abgeschlossen.
Die Termine
11. Juli 2013 – Beweisbeschluss des Landgerichts zur Angemessenheit der von der Antragsgegnerin angebotenen Barabfindung ohne vorherige mündliche Verhandlung.
26. September 2013 – Bestellung von Andreas Creutzmann zum Sachverständigen
17. Mai 2016 – Siegelung des Sachverständigengutachtens
30. September 2016 – Frist zur Stellungnahme zum Gutachten
2. Februar 2018 – Beweistermin mit Anhörung des Sachverständigen Andreas Creutzmann
Dez. 2018 – Ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Andreas Creutzmann
12. August 2020 – Beschluss des Landgerichts Düsseldorf (Erhöhung der Barabfindung auf 17,33 Euro)
7. Mai 2021 – Beschwerdebegründung der Antragsgegnerin
30. Juli 2021 – Frist Stellungnahme auf die Beschwerden
15. September 2021 – Verlängerte Frist Stellungnahme auf die Beschwerden
18. März 2024 – Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Zurückweisung der Beschwerden)
(Stand: 8. April 2024)
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