Für Kleinaktionäre werden in diesen Tagen wichtige politische Entscheidungen gefällt, auf die sie nur geringen Einfluss haben. Gleichzeitig sind die Konsequenzen der nach dem Frosta-Urteil von 2013 geplanten Gesetzesnovelle zum Delisting börsennotierter Unternehmen so groß, dass Anlegerschützer sich um die Grundrechte von Aktionären sorgen.
Spruchverfahren-Direkt hat mit drei Experten über alternative und weiterführende Reformvorschläge für das geplante Delisting-Gesetz von SPD, CDU und CSU gesprochen.
Spruchverfahren-Direkt: Die Beschlussfassung für die Neuregelung des Delistings geht in die Schlussrunde. Die Befürworter sind zufrieden. Gegner wie Sie, Herr Tüngler, nicht. Was stört Sie an dem Gesetzentwurf?
Tüngler: Leider hat sich die Bundesregierung dagegen entschieden, auf den Ertragswert abzustellen und setzt stattdessen auf den Kurswert. Wenn wir jetzt in der Börsenzeitung lesen, dass die Berater sich darüber freuen, liegt das daran, dass der übernehmenden Seite ein preisgünstiger Weg gepflastert wird, um Übernahmen durchzuführen. Die übernommene Seite muss hingegen ein Angebot akzeptieren, das sie nicht will. Aufgrund des Kursverfalls muss sie aber ihre Aktien abgeben. Die Industrie jubelt und sieht dabei nicht, dass sie auch Opfer dieser Regelung sein kann.
Spruchverfahren-Direkt: Die Befürworter argumentieren aber doch gerade damit, dass neue Gesetz stärke den Investitionsstandort Deutschland.
Tüngler: Diesen Ansatz verstehe ich schon im Ansatz nicht. Mir wird nicht klar, warum der Investitionsstandort Deutschland geschädigt werden sollte, wenn man für das Delisting ein wenig schärfere Regeln einführt. Es ist eher andersherum. Wenn Delisting-Regeln aufgeweicht werden, schauen Investoren viel genauer hin. Sie werden später und restriktiver Geld geben. Das wird gerade für junge Unternehmen gelten, bei denen noch ein Großaktionär im Boot sitzt. Denn es besteht dann immer die Gefahr, dass ein Unternehmen sehr schnell wieder von der Börse genommen wird.
Weimann: Ich kann mich da Herrn Tüngler anschließen. Der Großaktionär kann jetzt schneller und günstiger die Aktien der Minderheitsaktionäre übernehmen, um so die Mehrheit für einen Squeeze-out oder einen Unternehmensvertrag zu erreichen. Da kann ich nur auf die relevanten Zahlen hinweisen, die wir in einer Studie zusammengefasst haben. In 60 Prozent der Fälle lagen die Übernahmeangebote unter der auf der Hauptversammlung beschlossenen Barabfindung. In 75 Prozent der Fälle lag diese Barabfindung unter der vom Gericht bestimmten Barabfindung. Künftig wird es für die Großaktionäre wesentlich billiger.
Spruchverfahren-Direkt: Zeit und Kosten gerade für Bewertungsgutachten und Spruchverfahren sind ein wichtiges Argument der Befürworter des bisherigen Gesetzentwurfs. Gäbe es hier Wege, das Tempo zu erhöhen und den Aufwand zu senken?
Harnos: Ich muss sagen, ich verstehe die Angst vor dem Spruchverfahren nicht. In einer aktuellen Abhandlung habe ich gelesen, dass Spruchverfahren durchschnittlich weniger als vier Jahren dauern. 20 Prozent der Fälle konnten innerhalb von 24 Monaten abgeschlossen werden. Bei knapp 60 Prozent der Fälle dauert das Verfahren weniger als vier Jahre. Ich glaube daher nicht, dass das Spruchverfahren eine so große Belastung ist, dass man es im Falle eines Delistings auf jeden Fall ausschließen sollte.
Tüngler: Es könnte ja schneller gehen. Es liegt jedoch an den Gutachtern. Warum dauern die Fälle so lange? Weil Gutachter nach Stunden bezahlt werden. Was mache ich, wenn ich nach Stunden bezahlt werden? Ich mache viele Stunden. Ein Ansatz wäre, stattdessen mit pauschalen Werten zu arbeiten. Auch die Gerichte müssten stringenter sanktionieren, wenn Gutachten lange überfällig sind.
Weimann: Meine Erfahrung ist, dass häufig auch die Hauptaktionäre nicht die erforderlichen Unterlagen in der gebotenen Qualität zur Verfügung stellen. Das kostet Zeit. Und dass zermürbt auch die Beteiligten. Mein Vorschlag wäre hier, dass Gerichte dann, wenn die Unterlagen nicht zeitgerecht zur Verfügung gestellt werden, nach einer Androhung auch zum Nachteil des Hauptaktionärs schätzen.
Spruchverfahren-Direkt: Die Macroton-Zeit mit Hautpversammlungs-Beschluss, Abfindungsangebot und Spruchverfahren ist Geschichte. Das Rad wird wohl nicht zurückgedreht. Welche Kompromisse gäbe es?
Harnos: Die Frage ist, an welche Umstände wir die Abfindungspflicht und die Abfindungshöhe koppeln. Verweisen wir unmittelbar auf Paragraph 31 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes…
Spruchverfahren-Direkt: …der bei Übernahmen die Gegenleistung für Aktionäre regelt…
Harnos: …oder sagen wir einfach nur, es ist eine angemessene Abfindung zu gewähren? Die Frage nach der Abfindungshöhe überlassen wir dann den Gerichten, so wie es bei den aktienrechtlichen Regelungen bei Strukturmaßnahmen vorgesehen ist. Die Richter entscheiden dann bei der Überprüfung, welches Bewertungsverfahren im Einzelnen angemessen ist. Damit hätten wir die Gefahr gebannt, dass man sich zu sehr am Börsenkurs orientiert. Denn das kann aus Sicht der Anleger gefährlich werden, zum Beispiel wenn ein Unternehmen bei einem geringen Streubesitz tendenziell unterbewertet ist. Am Ende ist es eine Formulierungsfrage. Welches Signal senden wir den Gerichten? Ich wäre dafür, ihnen mehr Spielraum zu lassen.
Tüngler: Eine Position, die in den vergangenen Wochen vor allem von der CDU vorgetragen wurde ist: Wir wollen die Industrie entlasten. Deshalb wollen wir nicht die Gutachten vorne haben, die Zeit und Geld kosten. Und wir wollen danach auch keine Spruchverfahren haben, die langwierig sind. Den Ansatz, den Herr Harnos angesprochen hat, halte ich daher für richtig. Lasst uns vorne ein Abfindungsangebot nach dem Börsenkurs machen – gewichtet nach drei, sechs, neun oder zwölf Monaten. Dessen Überprüfung, bei der noch keine Gutachten nötig sind, kann dann aber in Spruchverfahren geklärt werden.
Spruchverfahren-Direkt: Dann ist das Problem, dass die Politik Vorgaben machen muss, welcher Wert angemessen ist.
Tüngler: Genau das ist die Streitfrage. Wir sorgen uns darum, dass der Börsenkurs sich auch bei anderen Maßnahmen als angemessene Abfindung etabliert. Wir fühlen, hören und sehen, dass in Berlin bei gewissen Parteien und Beratern seit Jahren daran gearbeitet wird, dass der Börsenkurs sich als Abfindungshöhe etabliert. Das gilt übrigens auch für einige Gerichte wie das Landgericht Frankfurt oder das Landgericht München.
Harnos: Ich glaube, dass man weder für das Delisting noch für andere Maßnahmen einfach in das Gesetz reinschreiben kann, nach welcher Bewertungsmethode angemessen bewertet wird. Das wäre ein zu starker Eingriff. Zumal die Ertragswertmethode nicht wirklich zuverlässig ist. Vieles ist dort unbestimmt, außerdem gibt es Bewertungsspielräume.
Spruchverfahren-Direkt: Kommt es auf den Einzelfall an?
Harnos: Ja. Wenn der Markt funktioniert, wird der Börsenkurs schon dem wahren Marktwert annähernd entsprechen. Wenn es sich aber um eine Gesellschaft handelt, bei der sich nichts tut, und das wird beim Delisting häufiger der Fall sein, ist die Gesellschaft tendenziell unterbewertet. Solche Fälle müssen unterschieden werden. Ich wäre vorsichtig damit, zu sehr auf die Ertragswertmethode abzuzielen. Andersherum sehe ich natürlich die Gefahr, dass man zu schnell auf den Börsenkurs rekurriert, um das Verfahren schnell abzuschließen.
Spruchverfahren-Direkt: Sie vergleichen das Delisting mit Strukturmaßnahmen wie einer Übernahme. In der Diskussion um das Gesetzverfahren wird von den Befürwortern des Entwurfs aber ja gerade bestritten, dass es sich bei einem Delisting um eine Strukturmaßnahme handelt.
Tüngler: Das ist eine Frage der Sichtweise. Eine Strukturmaßnahme im klassischen Sinne ist es sicherlich nicht. Aber wenn ein Aktionär seine Aktien nicht mehr verkaufen kann, weil kein Markt mehr da ist und er die Preise akzeptieren muss, die ein Käufer vorgibt, dann ist das ein sehr tiefer Einschnitt in seine Eigentumsposition.
Weimann: Wir haben uns jüngst auch das Thema Delisting empirisch angesehen. Wir kommen auf 53 Fälle seit Frosta. In 81,6 Prozent dieser Fälle ist der Kurs nach der Ankündigung gefallen. Der Kursverlust lag im Durchschnitt bei 16,1 Prozent. Das sind zwar vorläufige Zahlen. Es führt mich dennoch zu der Erkenntnis, dass die Grundrechtswirkung in der Aktie eintritt. Wenn man 16 Prozent weniger wert realisieren kann, ist das ein schmerzlicher Eingriff für einen Aktionär.
Spruchverfahren-Direkt: Was wäre die Folge?
Weimann: Im Ergebnis steht der Aktionär dann wie nach einer Eingliederung oder einer Verschmelzung da. Wir sehen daher im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz den falschen Regelungsort. Denn im WpÜG hat praktisch keine Norm individual schützenden Charakter.
Spruchverfahren-Direkt: Wo würden Sie das Delisting stattdessen ansiedeln?
Weimann: Wir sehen den Regelungsbedarf vielmehr im Aktiengesetz und im Spruchverfahrensgesetz. So haben beispielsweise Aufsichtsrat und Vorstand nach Paragraph 27 WpÜG für die übrigen Aktionäre eine begründete Stellungnahme zur Angemessenheit der Abfindung abzugeben. Im Regierungsentwurf bleibt allerdings völlig offen, was den Vorstand dazu veranlasst, den Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung zu stellen. Und weil es auch kein Gutachten zum Ertragswert gibt, fehlt Ihnen die Grundlage zur Beurteilung der Angemessenheit.
Spruchverfahren-Direkt: Soll der Gesetzgeber hier nachbessern?
Weimann: Man sollte hier einen Regelungsmechanismus entwerfen, der sich am Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft orientiert. Die Vorstandsentscheidung müsste in jedem Fall unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats gestellt werden, idealerweise auch unter den Zustimmungsvorbehalt der Hauptversammlung.
Spruchverfahren-Direkt: Die Zustimmung der Hauptversammlung ist dem Gesetzentwurf zufolge nicht vorgesehen. Ist dieser Punkt aus Ihrer Sicht am ehesten verschmerzbar?
Weimann: Was machen Sie, wenn ein Hauptaktionär mit 40 Prozent Anteil dem Vorstand mit Entlassung droht, sollte dieser keinen Delisting-Antrag stellen? Solche Durchmärsche von Großaktionären wären nicht möglich, wenn man auf einer HV eine qualifizierte Mehrheit verlangt, die sich an einem Beherrschungsvertrag oder einer Verschmelzung orientiert, nämlich 75 Prozent.
Tüngler: Wir sind auch der Meinung, alle Aktionäre sollten entscheiden, ob eine Aktie weiter gelistet werden soll oder nicht. Die Aktionäre entscheiden das ja auch schon beim Gang an die Börse. Sie werden ja keinen Vorstand haben, der einfach mal so seine Aktien an der Börse listet. Es wird ein Exit gesucht, man braucht Kapital, man will die Aktie als Akquisitionswährung nutzen. Das sind alles Themen, die immer die Investoren vor dem Börsengang entscheiden. Warum sollte die entgegengesetzte Entscheidung dann nicht von den Aktionären entschieden werden? Die Zustimmung der Hauptversammlung war allerdings unsere Maximalforderung. Wir hätten sie wohl geopfert, wenn wir dafür am Ende den Ertragswert bekommen hätten.
Harnos: Ich glaube nicht, dass man zwingend einen HV-Beschluss braucht. Vor allem nicht in den Fällen, in denen klar ist, dass die qualifizierte Mehrheit erreicht ist. Da ist der Beschluss nur ein unnötiger Kostenfaktor. Stattdessen würde ich dafür plädieren, die Satzung zu öffnen. Ich hätte große Sympathien für eine Lösung, bei der man im Normalfall keinen HV-Beschluss braucht, es sei denn, es steht in der Satzung.
Weimann: Das halte ich für richtig, wenn der Grundsatz der Satzungsstrenge nicht aufgeweicht wird. So wird verhindert, dass auch in die andere Richtung Voraussetzungen abgesenkt werden können. Darüber hinaus würde ich auch den Börsen die Möglichkeit eröffnen, in ihren Regularien Anforderungen für ein Delisting festzuschreiben. Beide Maßnahmen haben werbenden Charakter und können Investoren dazu bringen, sich für ein bestimmtes Unternehmen zu entscheiden, weil so Rechtssicherheit gewähreistet wird.
Spruchverfahren-Direkt: Die Börse Düsseldorf schreibt ja bislang noch die alte Macroton-Regelung fest. Herr Tüngler, wie sind die Erfahrungen mit dieser Regel?
Tüngler: Ich sitze ja im Börsenrat der Börse Düsseldorf. Wir sind allerdings nicht das Zentrum Deutschlands, wenn es um Delistings geht. Ich glaube, Frankfurt wird als Marktführer den geringsten Widerstand des Delistings wählen. Denn sie predigen ja den freien Markt. Und jegliche Freiheit, die nur irgend möglich ist, wird in deren Börsenordnung Niederschlag finden. Die Börse Frankfurt wird das Gesetz exakt übernehmen. Das heißt, der Markt wird es nicht regeln. Auch die Börse Düsseldorf wird sich irgendwann diesem Druck hingeben müssen. So traurig das dann ist.
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