Mit ‚Frosta‘ verbinden die meisten Menschen hochwertige Tiefkühlkost. Aktionäre hingegen verbinden mit dem Firmennamen seit dem 8. Oktober 2013 vor allem Frust. Dieser Frust nach der Frosta-Entscheidung hat die Regierungsfraktionen dazu veranlasst, Ende August einen Regelungsvorschlag in ein laufendes Gesetzgebungsvorhaben – dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie – einzubringen.
Der Vorschlag der Regierungsparteien sieht im Wesentlichen vor, dass ein öffentliches Übernahmeangebot vor einem Delisting genügt. Eine Verpflichtung zu einem Hauptversammlungsbeschluss oder der Anspruch auf ein Spruchverfahren sind nicht geplant.
Das Regierungspapier, das am 7. September 2015 Grundlage einer Anhörung im Bundestag war, führte entsprechend zu kritischen Fragen. Zumal sich nach Ansicht von Aktionärsschützern auf Basis der früheren ‚Macrotron-Entscheidung‘ eigentlich eine über Jahre bewährte Praxis etabliert hatte: die Anleger erhielten eine angemessene Teilhabe am inneren Wert. Die Angemessenheit des Kaufpreises eines Übernahmeangebots konnten sie überdies in einem gerichtlichen Spruchverfahren überprüfen lassen.
Abgeordnete bemängelten in der Anhörung, dass eine so wichtige Regelung zum Delisting nun in aller Eile an ein bereits laufendes Verfahren angehängt würde. Daher baten mehrere von ihnen vor allem die Vertreter der Anleger um eine Einschätzung.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sprachen sich dabei einhellig gegen das jetzt vorgeschlagene Regelungskonzept aus. Sie bestätigten zwar die Eilbedürftigkeit, weil bei immer mehr und immer größeren Gesellschaften dieser Weg nun gegangen würde. Sie verlangten aber übereinstimmend, dass – wie schon bisher auf der Grundlage der ‚Macrotron-Entscheidung‘ – die angebotene Abfindung dem inneren Wert und damit dem Ertragswert zu entsprechen habe.
Die Höhe sei in einem Spruchverfahren zu überprüfen. Außerdem dürfe es keinen Ausschluss bei einem vorhergehenden Übernahme- oder Pflichtangebot geben. Zudem spräche nichts dagegen, dass einzelne Börsen höhere Anforderungen an ein Delisting stellen dürften.
„Es bleibt zu hoffen, dass der Bundestag der gegenwärtigen Praxis mit einem geänderten Vorschlag schnell ein Ende bereitet“, sagt auch Martin Weimann, der für die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger (VzfK) Aktionäre in Spruchverfahren vertritt. Schließlich führe der Verlust der Handelbarkeit für viele Anleger zu dem Druck, die Aktien unter dem inneren Wert verkaufen zu müssen.
„Diese Praxis entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen zum Aktieneigentum“, so Weimann.
Auch von wissenschaftlicher Seite stößt das Regierungspapier noch auf Kritik. In einer gemeinsamen Stellungnahme in der Legal Tribune Online zählen beispielsweise Tim Drygala, Inhaber des Lehrstuhls für Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Leipzig, und Robert Peres, Rechtsanwalt und Kanzleiberater in Wiesbaden, zahlreiche Schwachstellen des Regierungspapiers auf.
So übersehe die Koalition, dass „anders als in traditionellen Übernahmesituationen der Angebotsaussteller in aller Regel bereits Mehrheitsaktionär der Zielgesellschaft ist.“ Der Großaktionäre könnte daher Einfluss auf das Management des Zielunternehmens und dessen Informationspolitik nehmen, was den Aktienkurs im Sinne des Großaktionärs beeinflussen könne.
Darüber hinaus kritisieren die Autoren, dass durch den Vorschlag der Regierungsparteien, die bislang geltenden Mindestfristen, innerhalb derer eine Notierung noch aufrechtzuhalten sei, drastisch verkürzt würden. Der Entwurf lade „internationale Großkonzerne geradezu ein, über diesen Weg Minderheitsaktionäre inländischer Zielgesellschaften auszubeuten.“
Drygala und Peres schlagen stattdessen vor, in der endgültigen Beschlussfassung die angemessene Gegenleistung für Aktionäre nicht am Börsenkurs festzumachen, sondern ergänzend auch am Ertragswert des Unternehmens. Darüber hinaus plädieren sie für die Möglichkeit, die Gegenleistung durch ein Spruchverfahren überprüfbar zu machen.
Da bislang kein Gesetz das Delisting-Prozedere regelt, gilt die Rechtsprechung als Maßstab, an dem sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen orientierten. Seit 2002 – vor dem Frosta-Urteil – war diese durch das so genannten Macroton-Urteil geprägt, das nach einem 1998 übernommenen deutschen IT-Unternehmen, der Macroton AG, benannt war.
Der Bundesgerichtshof hatte in dieser ursprünglichen Rechtsprechung festgelegt, welche Voraussetzungen für eine Delisting-Entscheidung erfüllt sein müssen: Demnach musste der Delisting-Beschluss von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gebilligt werden. Ebenfalls erforderlich war den Richtern des BGH zufolge ein öffentliches Kaufangebot der Gesellschaft selbst oder des Großaktionärs an die übrigen Aktionäre. Anleger hatten darüber hinaus das Recht, die Angemessenheit der Abfindung in einem Spruchverfahren prüfen zu lassen.
Die im Frosta-Urteil vollzogene Kehrtwende dieser Praxis leitete 2012 das Verfassungsgericht ein. Dieses entschied, dass nur die Beteiligung an einer Gesellschaft in ihrer Substanz grundrechtlich geschützt sei, nicht aber der Wert dieser Beteiligung.
Zwar hielt das Bundesverfassungsgericht die Macroton-Entscheidung für zulässig, der Bundesgerichtshof reagierte dennoch prompt. Im Frosta-Urteil entschied der BGH 2013 im Sinne der Frosta AG. Der Tiefkühlkosthersteller musste demnach für seinen geplanten Rückzug von der Börse weder einen Hauptversammlungsbeschluss einholen, noch ein Abfindungsangebot an die Aktionäre richten.
Die Entscheidung ersetzte die bis dato gültige Rechtsprechung. In der Folge sorgte das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage an der Börse für zum Teil massive Werteinbußen von Aktiengesellschaften, die ein Delisting angekündigt hatten. Allein das Wissen, dass eine Aktie innerhalb weniger Monate nicht mehr an der Börse zu handeln ist, sorgte für Verkaufsdruck unter den Anlegern. In der Regel folgten auf Delisting-Ankündigungen Kursrückgänge um bis zu 40 Prozent.
Die ‚Frosta-Entscheidung‘ hat auch dazu geführt, dass immer mehr Aktiengesellschaften ein Delisting ankündigen. Denn der damit einhergehende Verlust der Handelbarkeit der Wertpapiere führt zu sinkenden Kursen. Der Hauptaktionär kann dann oft unter dem inneren Wert Aktien zukaufen. Zu den Leidtragenden zählen nicht nur Kleinanleger. Es trifft auch Fonds, die nur Aktien in börsennotierten Gesellschaften halten dürfen.
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