Der Markt für Breitband-Netze entwickelt sich in Deutschland rasant. Angesichts immer datenintensiverer Dienste wie dem Video-Streaming oder dem Cloud-Computing, bedarf es entsprechender Infrastruktur sowohl im Privatkunden- als auch im Firmenkundengeschäft.
In Deutschland standen sich dabei in den vergangenen Jahren vor allem Anbieter zweier unterschiedlicher Technologien gegenüber. Auf der einen Seite Kabelnetzbetreiber wie Kabel Deutschland, Unitymedia und Kabel BW. Auf der anderen Seite die großen Glasfasernetzbetreiber wie die Deutsche Telekom. Im Schatten der Telekom ist seit 1999 das Unternehmen Versatel unterwegs. Der einstige niederländische Mutterkonzern nutzte 1999 die Liberalisierung des deutschen Telekommarktes und übernahm zunächst das Netz des Dortmunder Citiy Carriers VEW Telnet sowie später das Netz der Flensburger Komtel. Es folgten weitere Zukäufe unter anderem in Stuttgart (Tesion) und München (Completel). 2004 verleibte sich Versatel schließlich den Berliner Anbieter BerliKomm ein.
Vorangetrieben wurde die Konsolidierung der vielen regionalen Glasfasernetzanbieter im Jahr 2005. Im Juli übernahm der schwedische Tele2-Konzern die niederländische Versatel. Noch im selben Jahr wurde das bisherige Versatel-Deutschlandgeschäft von Tele2 an das Private-Equity-Unternehmen Apax verkauft. Letzteres war zu diesem Zeitpunkt bereits Mehrheitseigner an der Trypoly-Gruppe, die selbst bis dato 14 Stadtnetze gebündelt hatte – unter anderem in Essen, Frankfurt und Dresden. Apax verschmolz die zwei Unternehmen zu einem Telekommunikationsanbieter. Als Versatel AG brachte der neue Mehrheitseigner das Unternehmen im April 2007 an die Börse.
2011 trat schließlich der US-Finanzinvestor Kohlberg Kravis Roberts (KKR) auf den Plan. Die Investmentgesellschaft zahlte den bisherigen Versatel-Mehrheitseignern Apax Partners, Cyrte Investments und United Internet, die gemeinsam rund 92 Prozent der Versatel-Aktien hielten, 247,6 Millionen Euro. Gebündelt wurden diese Anteile in der von KKR zu diesem Zweck gegründeten VictorianFibre Holding GmbH. Dieses Unternehmen unterbreitete den restlichen Versatel-Aktionären am 19. Mai 2011 ein öffentliches Übernahmeangebot von zunächst 6,70 Euro, im Juli dann von 6,87 Euro pro Anteilsschein.
Das Angebot verhalf KKR, über ihr Investmentvehikel VictorianFibre rund 98,7 Prozent der Anteile an Versatel zu kontrollieren. Am 9. Februar 2012 wurden die verbliebenen Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft ausgeschlossen (Squeeze-out). Am 18. Dezember 2012 wurde die Versatel AG in eine GmbH umgewandelt. Über den Wert der Anteile von Altaktionären wird seit 2012 in einem Spruchverfahren vor dem Landgericht Berlin verhandelt.
Die Bewertung
Die Versatel AG hat sich seit dem Börsengang im Jahre 2007 operativ schwer getan. Über Jahre hinweg präsentierte die Unternehmensführung ihren Aktionären rote Zahlen. Der geäußerte Anspruch der Düsseldorfer, mit eigener, regionaler Breitbandinfrastruktur zur deutschlandweiten Nummer 2 sowohl bei Privat- als auch Geschäftskunden hinter der Deutschen Telekom aufzusteigen, scheiterte. Die Anfang 2008 verkündete Schließung von Niederlassungen, der Abbau von rund 200 Arbeitsplätzen und die Streichung von Marketingausgaben brachten allein keinen nachhaltigen Erfolg.
Im Juli tauschte der Versatel-Aufsichtsrat schließlich den Vorstandsvorsitzenden Peer Knauer aus. Unter dem neuen Vorstandschef Alain Bandle vollzog Versatel den Strategieschwenk: Hin zu Geschäftskunden und Glasfasernetzen. Die noch unter Knauer im Jahre 2008 akquirierten TV-Kabelnetzbetreiber AKF und MediaHome gab das Unternehmen im Juli 2010 an den französischen Finanzinvestor Chequers Capital ab.
Neben der Ertragskomponente wurde aus Sicht von Investoren schon kurz nach dem Börsengang auch immer deutlicher, dass die Versatel AG offenbar über eine Ressource verfügt, die im umkämpften Telekommunikationsmarkt auch für andere Branchenspieler von strategischem Wert ist: das Glasfasernetz. So wurde Versatel immer wieder als möglicher Übernahmekandidat gehandelt. Wobei Namen wie die spanische Telefónica (O2) und die britische Vodafone (Arcor) als potenzielle Käufer genannt wurden – beides Konkurrenten der Deutschen Telekom ohne eigene Glasfaser-Netze für DSL-Kunden.
Schon im November 2007 hatte sich zudem die United Internet AG (1&1) ein gut 20-prozentiges Aktienpaket von Versatel gesichert. Im Januar 2008 erhöhte der Internet-Provider aus Montabaur seinen Versatel-Anteil auf gut 25 Prozent, was einer Sperrminorität entsprach.
Nach der Übernahme von Versatel durch KKR für 247,6 Millionen Euro blieb United Internet dem Düsseldorfer Unternehmen treu. Per Optionsgeschäft sicherte sich der Konzern aus Montabaur im November 2012 erneut 25,1 Prozent der Versatel-Anteile, wobei der Rest der Gesellschaft in der von KKR verwalteten VictorianFibre GmbH gebündelt blieb. Im September 2014 übernahm United Internet Versatel dann komplett. Für die ausstehenden 74,9 Prozent der Anteile überwies der Konzern aus Montabaur 586 Millionen Euro an die Versatel-Obergesellschaft VictorianFibre nach Düsseldorf.
Das Spruchverfahren
Das Spruchverfahren zwischen den Altaktionären der Versatel AG und dem Großaktionär, der von KKR als Investmentvehikel genutzten VictorianFibre Holding GmbH, ist insofern bemerkenswert, da aus Sicht der Antragsteller nicht nur der Ertragswert Versatels im Mittelpunkt steht, sondern auch der Substanzwert des Unternehmens. Allein das Glasfasernetz Versatels hätte den Antragstellern zufolge zu einer erheblich höheren Barabfindung der Altaktionäre führen müssen.
So rechnet etwa die am Spruchverfahren beteiligte VzfK vor, dass der Ertragswert der Gesellschaft zum Bewertungsstichtag am 9. Februar 2012 laut Gutachten bei 247,6 Millionen Euro gelegen habe, was zu diesem Zeitpunkt einem Wert je Aktie von 5,63 Euro entsprach. Seither sei es allerdings zu einer „wundersamen Wertvermehrung“ gekommen. So sei die United Internet AG nur zwei Jahre später bereit gewesen, Versatel bei einer Bewertung von 782,4 Millionen Euro komplett zu übernehmen.
Wie das Landgericht in Berlin diese Verdreifachung des Unternehmenswerts beurteilt, wird das Spruchverfahren zeigen.
Die Kernkritikpunkte der Antragsteller
Keine Bewertung des Glasfasernetzes: Das Glasfasernetz der Versatel AG, das einen bedeutenden Substanzwert und einen einzigartiger Wettbewerbsvorteil begründe, sei nicht in die Bewertung des Unternehmens eingeflossen.
Mangelhafte Prüfungsleistung: Der Prüfer habe keine dem Bewertungsfall angemessene Prüfung durchgeführt, was zur Einholung eines Sachverständigengutachtens führen müsse.
Leitbild Börsenkurs: Weil der Börsenkurs um rund 20 Prozent über dem von der Antragsgegnerin ermittelten Ertragswert lag, habe der Prüfer nach eigenen Angaben den Ertragswert nicht näher geprüft.
E-Plus: Zwei Monate vor der Hauptversammlung habe Versatel mit dem Mobilfunkanbieter E-Plus eine Kooperationsvereinbarung getroffen, die nicht in die Bewertung eingeflossen sein soll. Weshalb die Planung der Antragsgegnerin von den eigenen Erwartungen Versatels laut Lagebericht abweiche.
Die Parteien
Zuständiges Gericht, Vorsitzender Richter: Landgericht Berlin, Oliver Pade
Aktenzeichen: LG Berlin, 102 O 25/12 SpruchG / Kammergericht
Antragsgegner: Versatel Telecommunications GmbH
Gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Peter Dreier
Sachverständiger: IVA Valuation & Advisory AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – Wirtschaftsprüfer Andreas Creutzmann
Der aktuelle Verfahrensstand
zum Squeeze-out der Minderheitsaktionäre der Versatel AG (Zielgesellschaft) durch die VictorianFibre Holding GmbH (Antragsgegnerin) – inzwischen Versatel Telecommunications GmbH
Mit den Stimmen der Antragsgegnerin hat die Hauptversammlung Versatels am 9. Februar 2012 folgenden Beschluss gefasst: „Die auf den Namen lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre der Versatel AG mit Sitz in Berlin (Minderheitsaktionäre) werden gemäß §§ 327a ff. AktG gegen Gewährung einer von der Hauptaktionärin, VictorianFibre Holding GmbH mit Sitz in Düsseldorf, zu zahlenden angemessenen Barabfindung in Höhe von EUR 6,84 je auf den Namen lautender Stückaktie mit einem anteiligen Betrag des Grundkapitals in Höhe von EUR 1,00 auf die Hauptaktionärin übertragen.“
Mit Eintragung des Beschlusses am 26. März 2012 in das Handelsregister der Gesellschaft gingen die noch im Streubesitz 485.190 Stück Aktien auf die Antragsgegnerin über.
Zum Zwecke der Bestimmung einer höheren angemessenen Barabfindung haben 69 Aktionäre der Zielgesellschaft gemäß §§ 327a Abs. 1 S. 1, AktG Anträge auf Einleitung eines Spruchverfahrens gestellt. Diese Anträge sind unter Az. 102 O 25/12 .SpruchG beim Landgericht Berlin anhängig.
Am 5. November 2013 fand die erste mündliche Verhandlung statt. Wobei das Gericht bereits am 27. August einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hatte. Demnach sollte die Abfindung um rund 10 Prozent auf 7,50 Euro erhöht werden. Der Vergleich kam nicht zustande.
Am 17. Juni 2014 hat das Gericht beschlossen, Beweis über den Unternehmenswert von Versatel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Das am 21. Dezember 2016 gesiegelte Gutachten der Sachverständigen IVA Valuation & Advisory AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde den Verfahrensbeteiligten Anfang Februar 2017 zugestellt. Darin unternimmt der Sachverständige (nicht kumulative) alternative Berechnungsszenarien mit verschiedenen Parametern im Kapitalisierungszinssatz sowie in der Planung des Segments „Massenmarkt“ und des Segments „Geschäftskunden“. Jeweils für sich betrachtet führen diese Szenarien zu Erhöhungen der Barabfindung zwischen 0,34 Euro und 0,82 Euro je Aktie.
Mit Beschluss vom 5. Februar 2021 (ab jetzt in unserer Datenbank) erhöhte das Landgericht Berlin die Barabfindung auf 7,93 Euro je Stückaktie. Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten hat laut Beschluss die Antragsgegnerin zu tragen.
Gegen diesen Beschluss legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Mit Beschluss vom 5. Oktober 2021 legte das erstinstanzliche Gericht die Sache dem Kammergericht zur Entscheidung vor.
Die Termine
5. November 2013 – Mündliche Verhandlung mit Anhörung der Prüfer Michael Wahlscheidt und Uwe Fritz
17. Juni 2014 – Beweisbeschluss
6. Februar 2017 – Zustellung des am 21. Dezember 2016 gesiegelten Sachverständigengutachtens
28. April 2017 – Frist zur Stellungnahme zum Sachverständigengutachten
12. Juni 2017 – Frist zur Stellungnahme zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 8. Juni 2017 und Aufforderung an den Sachverständigen zu den Fragen der Antragsgegnerin Stellung zu nehmen
26. Februar 2018 – Ergänzende gutachtliche Stellungnahme des Sachverständigen
5. Februar 2021 – Beschluss des Landgerichts Berlin
Beschwerdeverfahren läuft
(Stand: 2. November 2021)
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