Reger Expertenaustausch, kontroverse Debatten und ein außergewöhnliches Ambiente haben das erste „Symposium Spruchverfahren“ geprägt, das am 20. Mai von dem aktionaersforum in Berlin organisiert wurde. Knapp 50 Teilnehmer diskutierten im Kongresszentrum Axica direkt am Brandenburger Tor darüber, welche Bedeutung dem Spruchverfahren als gesellschaftsrechtlicher Schutz für Anleger zukommt.
Im vom Architekten Frank Gehry entworfenen Plenumssaal, der wie ein Nukleus im Foyer des Axicas zu schweben scheint, kreisten die Teilnehmer mit Impulsvorträgen und kontroversen Diskussionen eng um das Thema.
Den Auftakt machte dabei Professor Eric Nowak vom Swiss Finance Institute. Er bezeichnete das Spruchverfahren angesichts des in Deutschland schwachen Minderheitenschutzes für Aktionäre als etwas wie „den letzten Anker.“
Professor Nowak verwies provokant darauf, dass Deutschland laut Berechnungen der Weltbank im Vergleich von 189 Ländern beim Minderheitsschutz nur auf Position 103 landet, und damit in der Nachbarschaft von Brasilien, Chile und Thailand. Trotz leichter Verbesserungen in den beiden vergangenen Jahren sei diese Position immer noch „grottenschlecht“.
In verschiedenen Panels und Podiumsdiskussion wurden dann während der eintägigen Veranstaltung, die vor allem von Juristen, Bilanzprüfern, Aktionärsschützern und Abgeordneten besucht wurde, weitere Themen aufgegriffen.
So leuchtete Professor Tim Drygala zunächst die wichtigsten Kritikpunkte am Spruchverfahren aus. Drygala, Experte für Gesellschaftsrecht aus Leipzig, hob unter den gängigen Kritikpunkten die Länge der Verfahren, den anhaltenden Streit um Bewertungskriterien und die wachsende Bevorzugung des Börsenkurses durch die urteilenden Richter hervor.
Seit 2009, so stellte Professor Drygala klar, gebe es allerdings eine „merkliche Tendenz zu kürzeren Verfahren“. Bei den Bewertungsspielräumen hingegen wüssten alle, „dass es mathematisch nicht möglich ist, den Wert eines Unternehmens auf zwei Stellen hinter dem Komma zu bestimmen.“ Professor Drygala schlug alternativ eine Bandbreite vor, die man mittig zwischen den Parteien teilen könnte.
Der Wirtschaftsprüfer Professor Martin Jonas widersprach in der anschließenden Diskussion der oft geäußerten Einschätzung, die Durchführung von Bewertungen geschehe in Deutschland anders als in international üblichen Verfahren. Jonas beklagte zudem gewisse „Ermüdungserscheinungen“ bei einigen Richtern, die in verschiedenen Spruchverfahren regelrecht eine Verweigerungshaltung einnähmen: „Lasst die doch alle streiten, ich nehme den Börsenkurs.“
Ob die Minderheitsaktionäre in diesem Umfeld insgesamt benachteiligt werden, wurde bei diesem Symposium nicht eindeutig beantwortet. Die Kritik von Professor Ekkehard Wenger, wonach die geltende Rechtsprechung „außerordentlich minderheitsfeindlich“ sei, fand zumindest die Zustimmung von Teilnehmern wie Professor Eric Nowak.
Dieser bescheinigte dem Gesetzgeber zwar keine Absicht bei der Benachteiligung kleiner Aktionäre, dafür aber fehlendes Verständnis für die ökonomischen Zusammenhänge. Widerspruch kam aus den Reihen des Plenums. Ein Wirtschaftsprüfer berichtete, dass es in einigen Fällen Berechnungen zum Unternehmenswert gebe, die der Realität nicht entsprächen: „Die Leute werden vergoldet mit dem, was sie an Abfindungsbeträgen bekommen.“
Einig waren sich die Teilnehmer der Veranstaltung hingegen in punkto Verkürzung der Instanzenwege. Martin Weimann von der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger beantwortete die Leitfrage des Panels, ob die Landgerichte die Eingangsinstanz bleiben sollen, mit einem „klaren Ja“. Wenn man Spruchverfahren beschleunigen wolle, gebe es in der Praxis „viele Möglichkeiten, die leider kaum gegangen werden.“
Professor Leonhard Knoll gab zu bedenken, dass bei einer Verkürzung des Instanzenweges die Aufgabe der Erstinstanz „nicht plötzlich wegfällt“. Eine dramatische Verkürzung der Verfahrensdauern sei ohnehin nicht zu erwarten, weil Firmen „oft nicht oder spät die benötigten Daten liefern“. Übereinstimmung herrschte mit Blick auf eine wünschenswerte Verbesserung des jeweiligen Richtergremiums.
Alternativ wurden in der Diskussion erstens eine Verlagerung der Spruchverfahren von den Handelskammern zu den mit jeweils drei Volljuristen besser besetzten Zivilkammern und zweitens eine gezieltere Auswahl der Handelsrichter in den Handelskammern ins Spiel gebracht.
Ein weiteres Panel drehte sich um das Frosta-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) für Delisting-Fälle. Seit diesem Urteil aus dem Oktober 2013 können Unternehmen ein Delisting einleiten, ohne die Aktionäre um Erlaubnis zu fragen. Die bis dato verfolgte Rechtsprechung, die Aktionäre schützte, wurde so auf den Kopf gestellt. Seither wird auch darüber diskutiert, ob ein Gesetz die für viele unbefriedigende Rechtsprechung entschärfen könnte.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Professor Heribert Hirte stellte dazu auf dem Symposium seinen Gesetzesvorschlag vor. Er verwies aber zugleich darauf, wie schwierig es auch unter dem Zeitdruck der fortlaufenden Legislaturperiode sei, das Spruchverfahrensgesetz zu ergänzen. Allgemein wurde der Handlungsbedarf dennoch als hoch eingeschätzt. „Der Gesetzgeber muss hier etwas tun, wenn er nicht als Minderheitenschinder dastehen will“, kritisierte Professor Leonhard Knoll.
Mit breiter Zustimmung wurde ein Vorschlag von Professor Tim Drygala aufgenommen. Professor Drygala schlug vor, durch eine simple Ergänzung des § 3 Abs. 2 im Aktiengesetz den Wegfall einer Börsennotierung als Formwechsel gelten zu lassen. Ein Formwechsel würde dann nach dem Umwandlungsgesetz behandelt.
Kontrovers wurde in einem weiteren Panel über die wahlweise Einsetzung von Vertragsprüfern oder im Verfahren bestellte Sachverständige debattiert. Den Hinweis von Professor Ekkehard Wenger, die in der Praxis gängige Parallelprüfung durch Unternehmensgutachter und Prüfer „infiziere“ den Prüfer und erfordere daher unabhängige Sachverständige, konterte Professor Martin Jonas mit dem Argument, ein Prüfer wisse „doch ganz genau, dass er in ein bis zwei Jahren dem Richter seinen Befund ganz genau erklären muss.“
Für weitere Belebung der Diskussion sorgte ein Vortrag von Professor Ekkehard Wenger. Er stellte die These auf, das Spruchverfahren versage „in zunehmendem Maße als Instrument des Minderheitenschutzes“ von Aktionären. Wenger kritisierte die „zu blumigen Renditeberechnungen“ des IDW (Institut der Wirtschaftsprüfer), die von immer mehr Richtern akzeptiert würden.
Zentraler Punkt war seine Feststellung, dass die Marktrisikoprämie, die bei der Kalkulation auf den Basiszins draufgeschlagen wird, überschätzt werde. Folglich müsse das Spruchverfahren „abgeschafft werden“ und stattdessen eine Rückkehr zu „eigentumsrechtlichen Grundprinzipien“ erfolgen.
Wie sich Professor Wenger das vorstellt, erklärte der Aktionärsschützer so: Es müsse ein Auktionsverfahren stattfinden, bei dem „so viel geboten wird, dass sich eine ausreichende Zahl von Aktionären von ihren Papieren trennt“, also ein gesellschaftsrechtliches „Squeeze-out.“ Zudem forderte Professor Wenger zusätzliche und bessere Parameter, um die bestehenden Berechnungsmethoden zu optimieren.
Widerspruch kam vor allem von Professor Tim Drygala, der bestritt, dass Gerichte dem IDW-Standards blind folgten: „Meine Erfahrung ist, dass die Gerichte sich durchaus mit den Bedenken über die dominierende Bewertungsmethode auseinandersetzen.“
Professor Drygala forderte mehr Methodenoffenheit und bat mit Blick auf das Plenum um Verständnis, „dass sich die Juristen auf das stützen, was der ökonomische Mainstream als die beste Methode anbietet.“
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