Die Geschichte von AUDI reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Gründer August Horch zog sich nach Querelen mit seinen Partnern aus der zunächst unter Horch & Cie Motorwagen Werke gegründeten Firma zurück. Weil er seinen eigenen Namen nicht weiter nutzen durfte, wurde die neue Firma August Horch Automobilwerke GmbH in AUDI (Horch = Höre = lateinisch audi) umbenannt.
Den Zusammenschluss der Audiwerke, der Horchwerke und der Zschopauer Motorenwerke/DKW zur „Auto Union AG“ und die Übernahme der Wanderer Automobilabteilung symbolisieren die 4 Ringe – eines der bekanntesten Markenzeichen der Welt. Nicht zuletzt das Engagement der Gesellschaft im Motorsport sorgt immer wieder für technische Innovationen; den Slogan „Vorsprung durch Technik“ sowie den Begriff „quattro“ verbindet heute jeder mit der Marke AUDI. So vollzog sich auch der Wandel vom einstigen Zweitaktmotorenhersteller DKW über den Auto Union „Typ Audi“ hin zum Premiumhersteller von Luxuslimousinen. Heute titelt die Gesellschaft selbst: „Qualität hat vier Ringe und vier Buchstaben: Audi“.
Neben Luxuslimousinen produziert der Konzern unter den Marken „Lamborghini“ und „Ducati“ auch erfolgreich Supersportwagen und Super SUV’s bzw. Motorräder, wenngleich die Umsatzerlöse hieraus von untergeordneter Bedeutung sind. Dazu ist AUDI auch als Sponsor des FC Bayern München bekannt, an dessen Profiabteilung die Gesellschaft mit 8,33 Prozent beteiligt ist.
Seit 1971 ist AUDI durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in den VW-Konzern eingebunden.
Der Dieselskandal (von VW verharmlosend als „Dieselthematik“, von Betroffenen und der Wirtschaftspresse pointiert als „Dieselgate“ bezeichnet) ist mit AUDI untrennbar verbunden. Denn AUDI ist und war die Motorenschmiede des VW-Konzerns. Die als sauber verkauften Dieselfahrzeuge entpuppten sich als Mogelpackung. Mit spezieller Software wurden Messungen über den Schadstoffausstoß manipuliert. 2015 wurden die Manipulationen eher zufällig aufgedeckt. Der wohl größte Wirtschaftsskandal der Welt, in den nicht nur AUDI und andere Unternehmen der VW-Gruppe, sondern eine Vielzahl von Herstellern involviert waren, nahm seinen Lauf. VW selbst beziffert den Schaden auf 32 Mrd. Euro.
Die von VW mit fast 67 Mrd. Euro bewertete AUDI AG ist das am höchsten bewertete Unternehmen, aus dem jemals Minderheitsaktionäre in Deutschland ausgeschlossen wurden. Allerdings war VW bereits mit 99,64 Prozent an AUDI beteiligt, sodass die Abfindungssumme an die außenstehenden Aktionäre „nur“ noch rund 237 Mio. Euro betrug.
Mit der vollständigen Integration soll AUDI noch mehr als bisher als „Technikschmiede“ des Konzerns fungieren und den von VW verpassten Wandel hin zur Elektromobilität vollziehen. Allerdings fiel die Übernahme der restlichen Anteile in den Beginn der Corona-Krise. Denn das Ausschlussverlangen stellte VW am 28. Februar 2020, also ganz zu Beginn der Krise.
Die Bewertung
Die Bewertung von AUDI erfolgte nach der in Deutschland gebräuchlichen Ertragswertmethode.
Fiel die Ankündigung des Squeeze-out noch in den Beginn der Corona-Krise, wird die Bewertung von eben dieser dominiert. Bereits die Ausgangsplanung von AUDI, welche erst im April 2020 erstellt wurde, preiste die Corona-Effekte ein. VW hat diese dann nochmals mit einer „Overlayplanung“ überzogen. Auf diese Weise sollte das Ergebnis um rund die Hälfte gegenüber dem Vorjahr einbrechen und sich danach nur langsam wieder erholen.
Die durch die Wella-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Az. II ZB 6/20 vom 15. September 2020) eröffnete Wertschranke des Barwerts der Ausgleichszahlung aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wird kaum eingreifen. Denn die Ausgleichszahlung ist an die Dividendenpolitik von VW gekoppelt. Statt einer festen Ausgleichszahlung erhielten die Minderheitsaktionäre von AUDI den gleichen Betrag, den VW für das jeweilige Geschäftsjahr als Dividende für eine VW-Stammaktie zahlte. Zur Bestimmung des Barwerts der Ausgleichszahlung wäre damit eine Prognose zu den zukünftigen Dividenden von VW erforderlich – eine Aufgabe, die wohl jedes Gericht überfordert.
Aus dem gleichen Grund kommt auch dem – deutlich unter dem Ertragswert liegenden – Börsenkurs keine Bedeutung zu. Im Falle eines konzernierten Unternehmens spiegelt dieser ohnehin nur die Renditeerwartung der Ausgleichszahlung wider. Weil diese vorliegend aber an die Dividendenpolitik von VW gekoppelt ist, spiegelt der Börsenkurs nicht einmal im Entferntesten die Ertragsaussichten von AUDI wider.
Stattdessen hat VW den von ihr ermittelten Wert der AUDI AG mittels EBIT-Multiplikatoren einer frei gegriffenen Peer Group plausibilisiert. Unabhängig von der Eignung der dazu ausgewählten Unternehmen beschränken sich diese Prognosen nur auf die Geschäftsjahre 2021 und 2022. Diese bilden voll umfänglich die Corona-Krise ab. Mit der Multiplikation dieser so belasteten Ergebnisse schreibt VW die Corona-Krise in alle Ewigkeit fort.
Das Spruchverfahren
Am 28. Februar 2020 wurde das Verlangen von VW zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre der AUDI AG veröffentlicht. Die Hauptversammlung vom 31. Juli 2020 stimmte diesem Ausschluss mit den Stimmen von VW zu. Dieser wurde mit Eintragung im Handelsregister am 16. November 2020 vollzogen. Die Barabfindung spiegelt den von VW errechneten anteiligen Ertragswert in Höhe von 1.551,53 Euro je Aktie wider. Der Börsenkurs lag mit 813,15 Euro weit darunter.
Betroffen sind insgesamt 152.749 Stückaktien, was 0,36 Prozent des Grundkapitals entspricht.
Bis zum Ablauf der Antragsfrist am 17. Februar 2021 gingen Anträge von 100 ehemaligen Aktionären der AUDI AG beim zuständigen Landgericht München I ein, die Barabfindung höher festzusetzen. Diese Anträge sind unter Az. 5 HK O 15162/20 beim Landgericht München I anhängig. Zur Vertretung der Interessen aller übrigen vom Ausschluss betroffenen Aktionäre hat das Gericht Rechtsanwältin Bergdolt aus München zur gemeinsamen Vertreterin bestellt.
Die Anträge der 100 am Verfahren beteiligten ehemaligen Aktionäre der AUDI AG befassen sich in unterschiedlichem Umfang mit allen Themen der Bewertung.
Die Antragsgegnerin ist diesen mit Schriftsatz vom 13. Juli 2021 entgegengetreten. Darin verteidigt sie die von ihr festgelegte Barabfindung als angemessen.
Die Kritikpunkte der Antragsteller
Von fast allen Antragstellern wird die Prognose der zukünftigen finanziellen Überschüsse als untersetzt gerügt.
Dabei stellt die Kritik an der Planung der Corona-Effekte einen Schwerpunkt dar. Zwar kann nicht geleugnet werden, dass die Automobilbranche und mit ihr auch AUDI von der Corona-Krise besonders hart getroffen wurde; jedoch halten zahlreiche Antragsteller die von VW geplanten Effekte wertmäßig und in ihrer zeitlichen Auswirkung für überzogen.
Besonders angegriffen wird jedoch die von VW selbst vorgenommene Planung des Terminal Value. Hier drängt sich aus Sicht der Antragsteller der Verdacht auf, dass über zwei völlig unterschiedliche Unternehmen berichtet wurde: Wo AUDI selbst Chancen sieht, sieht VW nur Risiken:
- AUDI erwartet ein durchschnittliches jährliches Umsatzwachstum von 4,4 Prozent; VW plant aber nur 2,5 Prozent.
- AUDI erwartet laut eigenem geprüften Lagebericht langfristig eine operative Umsatzrendite von 9 bis 11 Prozent; VW plant nur eine solche von 7 Prozent.
- AUDI erwartet langfristg ein Wachstum von 1,0 Prozent; VW plant nur ein solches von 0,5 Prozent.
Auch Einzelpunkte, wie die Behandlung der „Dieselthematik“ (VW plant diesbezüglich eine Belastung von AUDI in Höhe von 180 Mio. Euro; AUDI selbst sieht aber die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme als gering an, weswegen nicht einmal eine Rückstellung dafür gebildet werden durfte), werden das Spruchgericht beschäftigen.
Wie bei fast allen Spruchverfahren üblich, richten sich die Bewertungsrügen aber überwiegend gegen die Höhe des Diskontierungszinssatzes. Mit mehr oder minder standardisierten Argumenten werden die einzelnen Parameter (Basiszinssatz, Marktrisikoprämie, Beta-Faktor und Wachstumsabschlag) angegriffen.
In Einzelfällen richtet sich die Kritik auch gegen die (aus Sicht der Antragsteller z.T. fehlende) Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens.
Die Parteien
Zuständiges Gericht: Landgericht München I, 5. Kammer für Handelssachen; Bayerischer Oberster Gerichtshof
Vorsitzender Richter: VrichterLG Dr. Helmut Krenek
Aktenzeichen: 5 HK O 15162/20
Antragsgegner: Volkswagen AG
Zahl der Antragsteller: 100 (davon anwaltlich vertreten: 44)
Gemeinsamer Vertreter: RAin Daniela Bergdolt
Antragsgegnervertreter: Linklaters LLP
Sachverständiger:
(Ziel-)Gesellschaft: AUDI AG; WKN: 675 700 und 675 702 / ISIN: DE0006757008 und DE0006757024
Der Verfahrensverlauf
Nachdem das Gericht einen zunächst auf den 19. Januar 2022 geplanten Termin zur mündlichen Verhandlung pandemiebedingt aufgehoben hatte, legten die vom Gericht bestellten Abfindungsprüfer, Herr Breithaupt und Frau Fischer, c/o Baker Tilly GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eine ergänzende Stellungnahme vor. Die Verfahrensbeteiligten konnten zu dieser ergänzenden Stellungnahme bis zum 31. Januar 2023 Stellung nehmen.
Am 27. April 2023 fand der Termin zur mündlichen Verhandlung statt, in dem die gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer angehört wurden. Das Gericht bat um eine alternative Berechnung zum Beta-Faktor. Daraufhin beantragte die Antragsgegnerin keine Informationen zu Margen für Verbrenner- und Elektromodelle offen legen zu müssen mit der Begründungen, dass es sich hierbei um Betriebsgeheimnisse handelt. Mit Beschluss vom 17. August 2023 erklärte das Gericht den Geheimhaltungsantrag der Antragsgegnerin für zulässig und begründet. In der Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass die Antragsgegnerin nachvollziehbar vorgetragen habe, dass aus der Veröffentlichung von Planzahlen Rückschlüsse auf Details der Geschäftstätigkeit, insbesondere auf die Kalkulation der Preise gezogen werden können.
In ihren weiteren ergänzenden Ausführungen zum Betafaktor kamen die Abfindungsprüfer zu dem Ergebnis, dass der Abfindungswert der Aktie je nach Alternativberechnung zwischen 1.688,10 Euro und 1.827,07 Euro liegen müsste.
Den zunächst auf den 28. Dezember 2023 angesetzten Verkündigungstermin verschob das Gericht auf den 28. Juni 2024 mit der Begründung, dass ansonsten die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht gewahrt werden könne und das Gericht überlastet sei.
Mit Beschluss vom 28. Juni 2024 (Link zur Datenbank) erhöhte das Landgericht München I die Barabfindung von 1.551,53 Euro auf 1.754,71 Euro je Aktie. Gegen diese Entscheidung legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wird bis zum 30. September 2024 erwartet.
Die Termine
28. Februar 2020 – Verlangen der Volkswagen AG zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre der AUDI AG gegen Zahlung einer Barabfindung
31. Juli 2020 – Ordentliche Hauptversammlung der AUDI AG stimmt dem Antrag zu
28. November 2020 – Eintragung des Ausschlusses im Handelsregister der AUDI AG
28. Februar 2021 – Ablauf der Antragsfrist
18. Januar 2022 – Fragekatalog Abfindungsprüfer
19. / 20. Januar 2022 – Termin mündliche Verhandlung pandemiebedingt abgesagt
8. September 2022 – Frist ergänzende Stellungnahme Abfindungsprüfer
31. Januar 2023 – Frist Stellungnahme zur ergänzenden Stellungnahme der Abfindungsprüfer
27. April 2023 – Termin mündliche Verhandlung
16. Juni 2023 – Ergänzende Ausführung der Abfindungsprüfer zum Beta-Faktor
3. Juli 2023 – Frist Stellungnahme zum Geheimhaltungsantrag der Antragsgegnerin
17. August 2023 – Beschluss zum Geheimhaltungsantrag der Antragsgegnerin
5. September 2023 – Ergänzende Ausführungen der Abfindungsprüfer
28. Juni 2024 – Beschluss des Landgerichts München I
Beschwerdeverfahren läuft
30. September 2024 – voraussichtl. Beschwerdebegründung der Antragsgegnerin
(Stand: 28. August 2024)
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