Die Geschichte der STADA Arzneimittel AG reicht bis in das Jahr 1895 zurück. Damals schlossen sich Apotheker zusammen, um unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Gemeinschaftspräparate herzustellen. Im Firmennamen spiegelt sich diese Historie als Abkürzung wider, denn der Begriff STADA leitet sich ab aus „Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker“.
STADA gilt neben Teva Pharmaceutical Industries Ltd. (Ratiopharm) und Novartis (Hexal) als einer der größten Generika-Hersteller in Deutschland. Der Jahresumsatz belief sich in 2020 auf 3 Mrd. Euro. Davon entfielen rund 55 Prozent auf Generika (Tilidin, Atorvastatin, Pantoprazol u.a.) und 45 Prozent auf den Vertrieb von Markenprodukten (APO-go, Grippostad u.a.).
Die Produkte werden weltweit in 130 Ländern vertrieben. Immer größere Bedeutung nimmt die Entwicklung und der Vertrieb von Biosimilars ein; das sind Arzneimittel mit einem biotechnologisch hergestellten Wirkstoff, die im Vergleich mit sich bereits im Markt befindlichen Erstanbieterprodukten entwickelt wurden. Sie sind diesen so ähnlich, dass sie eine nachgewiesene therapeutische Äquivalenz aufweisen und in Bezug auf Sicherheit und Qualität vergleichbar sind. Damit sind Biosimilars gleichwertige Nachfolgeprodukte eines patentfreien Biopharmazeutikums.
2017 setzte eine wahre Bieterschlacht um die Übernahme der Gesellschaft ein. Am 12. Februar 2017 bestätigte STADA die Gerüchte am Markt, dass Investoren Interesse an einer Übernahme von bis zu 100 Prozent der Anteile bekundet hätten. Als Preis wurden 56,00 Euro pro Aktie und als Interessenten Cinven Partners LLP und Advent International Corporation genannt. Nachdem sich noch ein weiterer Interessent dazugesellt hatte, startete STADA einen strukturierten Bieterprozess.
Am 10. April 2017 veröffentlichte STADA eine Insiderinformation, wonach das Bieterkonsortium Bain Capital und Cinven ein Übernahmeangebot zum Preis von gesamt 66,00 Euro (65,28 Euro Preis zuzüglich 0,72 Euro Dividende) unter der Bedingung einer Mindestannahmeschwelle von 75 Prozent unterbreiten werde.
Nachdem sich abzeichnete, dass die Mindestannahmeschwelle nicht erreicht würde, verringerten die Interessenten diese Schwelle zunächst auf 67,5 Prozent. Am 26. Juni 2017 gab STADA bekannt, dass auch die abgesenkte Mindestannahmeschwelle nicht erreicht wurde.
Am 19. Juli 2017 veröffentlichten die Interessenten ein weiteres Übernahmeangebot, welches einen um 0,25 Euro erhöhten Übernahmepreis und eine auf 63 Prozent abgesenkte Mindestannahmeschwelle vorsah. Am 18. August 2017 gab STADA bekannt, dass die Mindestannahmeschwelle mit 63,85 Prozent angedienter Aktien überschritten worden sei und das Übernahmeangebot damit erfolgreich sei.
Weil aber die Investoren nicht die für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags notwendige Dreiviertelmehrheit der Anteile besaßen, drohte der US‑Hedgefonds Elliott mit einem Veto; die Investoren mussten daher der Forderung Elliotts nach einer Barabfindung in Höhe von mindestens 74,40 Euro je Aktie Folge leisten. Die Übernahme verteuerte sich abermals.
Am 2. Februar 2018 schließlich stimmte die außerordentliche Hauptversammlung dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen dem Verwaltungsvehikel der Investoren, Nidda Healthcare GmbH, und der STADA Arzneimittel AG zu.
Der Vertrag sah einen festen Ausgleich in Höhe von 3,82 Euro brutto – entspricht 3,53 Euro netto – je Aktie bzw. alternativ eine Barabfindung in Höhe von 74,40 Euro je Aktie vor. Im Falle der Kündigung des Vertrages durch den Hauptgesellschafter lebt das Andienungsrecht der Aktien wieder auf.
Im Spruchverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wurde die Abfindung vergleichsweise um rund 10 Prozent auf 81,73 Euro erhöht; der Ausgleich blieb unverändert. Die Abfindung entsprach damit dem Delisting-Erwerbsangebot vom 11. Oktober 2018.
Am 8. Juni 2020 verlangte die Antragsgegnerin den Ausschluss der noch verbliebenen Minderheitsaktionäre, welcher am 24. September 2020 gegen Zahlung einer Barabfindung in Höhe von 98,51 Euro je Aktie beschlossen wurde.
In einer gegen Gewinnverwendungs-, Wahl von Abschlussprüfern und Entlastungsbeschlüsse gerichteten Anfechtungsklage wurde die Barabfindung vergleichsweise um 0,10 Euro je Aktie erhöht.
Die Bewertung
Die Bewertung pharmazeutischer Unternehmen ist typischerweise gekennzeichnet von der Bewertung der in der „Pipeline“ befindlichen Produkte. Zwar forschen Generika-Unternehmen nicht selbst, allerdings verlangt das „Nachkochen“ von Originalpräparaten, die Erhöhung der Produktionschargen auf industrielle Maßstäbe (sog. Upscalling), die Erstellung von Bioäquivalenzstudien und die behördliche Zulassung von Produkten einen erheblichen zeitlichen, organisatorischen und finanziellen Vorlauf. Vorlaufzeiten von bis zu zehn Jahren sind keine Seltenheit.
2020 führte STADA 798 neue Produkte ein. Zum 31. Dezember 2020 liefen über 1.400 Zulassungsverfahren in über 50 Ländern. Die Produktpipeline von STADA ist also prall gefüllt.
Zum Ende der nur dreijährigen Detailplanungsphase soll sich die Gesellschaft angabegemäß noch in keinem eingeschwungenen Zustand befinden. Deshalb hat der Hauptgesellschafter die Planung um eine dreijährige Konvergenzphase erweitert, in der das Wachstum der Umsatzerlöse auf ein nachhaltiges Niveau von 1 Prozent abgeschmolzen, zugleich aber die EBITDA-Marge auf 26,5 Prozent erhöht wird.
Zwar gilt STADA unter Wirtschaftsprüfern als Musterbeispiel in die Höhe schießender Takeover-Preise; allerdings waren diejenigen, die das behaupten, maßgeblich als Bewertungsgutachter an der interessenorientierten Bewertung beteiligt. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass das Ausgangsgebot des Hauptaktionärs schlicht zu niedrig war.
Das sehen auch zahlreiche betroffene Minderheitsaktionäre so, welche ein Spruchverfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main zur Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Kompensationen eingeleitet haben.
Das Spruchverfahren
Die Hauptversammlung der STADA Arzneimittel AG vom 24. September 2020 hat den Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer Barabfindung in Höhe von 98,51 Euro je Aktie beschlossen.
Zur Festlegung der Barabfindung hat der Hauptaktionär ein Bewertungsgutachten von ValueTrust eingeholt. Diese haben den Unternehmenswert der Gesellschaft nach dem Ertragswertverfahren in einer Bandbreite von 4.724 Mill. Euro bis 6.133 Mill. Euro und letztlich mit 6.133,3 Mill. Euro, entspricht 98,51 Euro je Aktie errechnet.
Von der Maßnahme sind noch 1,371 Mill. Stück Aktien von Minderheitsaktionären betroffen. Anträge auf Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung konnten beim zuständigen Landgericht Frankfurt am Main bis 8. Februar 2021 gestellt werden.
In der ersten mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2021 äußerte das zuständige Gericht die Rechtsauffassung, dass der Barwert der Ausgleichszahlung maßgeblich sein könne. Diesen berechnete das Gericht mit 124,51 Euro je Aktie. Das Gericht schlug den Verfahrensbeteiligten vor, sich auf diesen Betrag zu einigen.
Kritikpunkte an der Bewertung
Barwert der Ausgleichszahlung: Die „Wella“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vom 15. September 2020 – II ZB 6/20) hat mit dem Barwert der Ausgleichszahlung eine weitere Wertuntergrenze eröffnet. Voraussetzung ist, dass dieser höher ist als der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts und der Unternehmensvertrag zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt bestand und von seinem Fortbestand auszugehen war.
Unter Ansatz des (ungerundeten) Basiszinssatzes zum Bewertungsstichtag und eines hälftigen Risikozuschlags, der sich aus dem Produkt einer Marktrisikoprämie in Höhe von 5,75 Prozent und eines Beta-Faktors von 1,0 errechnet, folgt ein Barwert der Ausgleichszahlung in Höhe von 124,51 Euro. Verringert man den Beta-Faktor auf einen (auch von der Antragsgegnerin selbst verwendeten) Beta-Faktor von 0,9 erhöht sich der Barwert der Ausgleichszahlung auf 138,57 Euro je Aktie.
Ertragswert: Der Barwert der Ausgleichszahlung bildet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur die Wertuntergrenze der angemessenen Barabfindung. Liegt der anteilige Ertragswert über dem Barwert der Ausgleichszahlung, ist dieser maßgeblich.
Aufgrund des vorangegangenen Spruchverfahrens zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bietet sich ein PLAN-IST-Vergleich mit den dortigen Annahmen an. Die Antragsteller sehen darin eine systematische Unterbewertung der Gesellschaft durch die Antragsgegnerin.
Auch andere Posten der Gewinn- und Verlustrechnung – wie etwa die Verwaltungskosten und das Finanzergebnis – werden von den Antragstellern angegriffen.
Aufgrund des üblicherweise eher sakrosankten Umgangs der Rechtsprechung mit Planannahmen dürfte jedoch den Parametern des Kapitalisierungszinssatzes eine deutlich größere Bedeutung zukommen.
Insbesondere der Beurteilung des operativen Risikos (Beta-Faktor) kommt herausragende Bedeutung zu: Noch für Zwecke der Unternehmensbewertung aus Anlass des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags hatte die Antragsgegnerin das operative Risiko der Gesellschaft mit einem Beta-Faktor von 0,75 beziffert. Dieses soll nun auf 0,90 gestiegen sein.
Nicht zuletzt aufgrund des vorangegangenen Delisting hat die Antragsgegnerin den unternehmenseigenen Beta-Faktor unberücksichtigt gelassen. Allerdings hat sie dafür mit der Mallinckrodt plc ein bereits insolventes Unternehmen und mit der Vifor Pharma AG ein Spezialpharmaunternehmen in die Peer Group einbezogen, die mit der Gesellschaft nicht vergleichbar sind.
Legt man nur den – auch für Zwecke der Bewertung aus Anlass des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags verwendeten – Beta-Faktor auf 0,75 fest, erhöht sich die Barabfindung auf 132,79 Euro je Aktie.
Auch die übrigen Parameter des Kapitalisierungszinssatzes werden von den Antragstellern angegriffen.
Die Parteien
Zuständiges Gericht: Landgericht Frankfurt am Main
Vorsitzender Richter: Dr. Martin Müller
Aktenzeichen: 3-5 O 92/20
Antragsgegner: Nidda Healthcare GmbH
Antragsgegnervertreter: Gleiss Lutz Hootz Hirsch PartmbB Rechtsanwälte, Steuerberater
Gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Martin Weimann
Sachverständiger: Frau Dipl.-Kffr. Roll
Gesellschaft: STADA Arzneimittel AG (WKN: 725180, ISIN: DE0007251803)
Der Verfahrensverlauf
Die außerordentliche Hauptversammlung der Zielgesellschaft hat am 24. September 2020 den Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer Barabfindung in Höhe von 98,51 Euro je Aktie beschlossen.
Betroffen sind insgesamt 1.371.245 Stammaktien der Zielgesellschaft, was unter Abzug der von der Gesellschaft gehaltenen eigenen Aktien 2,2 Prozent des Grundkapitals entspricht.
Der Beschluss wurde am 6. November 2020 in das Handelsregister eingetragen und am selben Tag bekannt gemacht.
Betroffene Minderheitsaktionäre konnten innerhalb von drei Monaten nach Bekanntmachung der Eintragung Anträge zur gerichtlichen Bestimmung angemessener Kompensationen stellen. Davon haben 75 betroffene Aktionäre Gebrauch gemacht.
In einer gegen Beschlüsse der Hauptversammlung vom 14. Mai 2020 gerichteten Anfechtungsklage hat sich die Antragsgegnerin zur Zahlung einer um 0,10 Euro je Aktie erhöhten Barabfindung verpflichtet.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2021 regte das Gerichte eine vergleichsweise Beendigung des Verfahrens an und schlug dafür eine Barabfindung in Höhe von 124,51 Euro vor. Die Antragsgegnerin lehnte diesen Vergleichsvorschlag am 27. Oktober 2021 ab. Mit Beschluss vom 16. November 2021 hat das Gericht ein Sachverständigen Gutachten angeordnet. Die Sachverständige soll die Plausibilität der Planungsrechnung, die geplante Thesaurierung, insbesondere soweit sie den Minderheitsaktionären für die Bemesserung der Barabfindung nicht zugerechnet wurde, den Beta-Faktor und dort besonders die Frage der Zusammensetzung der Peer Group, überprüfen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll die Sachverständige zudem berechnen, ob die Kapitalisierung der Ausgleichszahlung aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag von netto 3,53 Euro ggf. zu einer höheren Abfindung als nach dem von ihr ermittelten Ertragswert führt.
Am 7. März 2023 legte die Sachverstädige ihr Gutachten vor und kommt insbesondere durch Korrekturen am Beta-Faktor auf eine Barabfindung von 123,06 Euro statt der angebotenen 98,51 Euro je Aktie. Mit Beschluss vom 6. November 2023 forderte das Gericht die Sachverständige auf, zu weiteren Fragen der Verfahrensbeteiligten Stellung zu nehmen.
Die Termine
24. September 2020: Außerordentliche Hauptversammlung beschließt Ausschluss der Minderheitsaktionäre
6. November 2020: Eintragung und Bekanntmachung des Ausschlusses im Handelsregister
8. Februar 2021: Ablauf Antragsfrist zur Einleitung eines Spruchverfahrens
21. Oktober 2021: Termin mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main
16. November 2021: Anordnung Sachverständigen Gutachten
7. März 2023 – Sachverständigengutachten
6. November 2023 – Beschluss Stellungnahme Ergänzungsfragen
(Stand: 25. April 2024)
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