Die 1857 als Bayerische AG für chemische und landwirtschaftlich-chemische Fabrikate gegründete Süd-Chemie baute insbesondere ab den späten 1950er Jahren ihr Geschäftsfeld durch Unternehmenszukäufe und Joint Ventures kontinuierlich aus. Erweitert wurden die herkömmlichen Geschäftsfelder auch durch neue Produktlinien, wie einen 2006 gegründeten Bereich zur Produktion leistungsfähiger Kathodenmaterialien für wieder aufladbare, mobil sowie stationär verwendbare Lithiumionenbatterien.
2012 wurde mit dem Bau von Deutschlands größter Bioethanol-Anlage der zweiten Generation begonnen.
In die Schlagzeilen geriet der Familienkonzern 2005, als der Finanzinvestor One Equity Partners, nachdem er zuvor rund 39 Prozent Anteile von der Allianz, der Bayerischen Landesbank und der Possehl-Stiftung erworben hatte, den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreitete. 35 Euro bot die SC-Beteiligungsgesellschaft mbH, ein Tochterunternehmen der OEP, den Aktionären damals an. Sonderlich erfolgreich war das Angebot nicht.
Umso überraschender kam dann 2007 die Meldung, dass sich OEP mit dem Zukauf eines Aktienpakets die Stimmrechtsmehrheit bei dem Spezialchemieunternehmen gesichert habe. Trotzdem ließ OEP die Geschäftsführung gewähren, zumal aufgrund des erfolgreichen Geschäfts der Aktienkurs fast 100 Euro erreichte.
2011 verkündete OEP dann, dass sie ihre Anteile im Schulterschluss mit anderen Großaktionären an den schweizer Chemiekonzern Clariant für 121 Euro je Aktie verkauft hätten. Hieran anschließend richtete Clariant ein Pflichtangebot an die übrigen Aktionäre zum Erwerb ihrer Anteile. Weil aber Clariant schon zuvor durch den Paketkauf mehr als 95 Prozent der Anteile auf sich vereinigt hatte, stellte dieses Angebot nur noch eine Formalität dar. Der Squeeze-out wurde bereits mit Veröffentlichung der Angebotsunterlage angekündigt.
Die Bewertung
Die Geschichte der Süd-Chemie reicht mit ihren beiden Gründungsgesellschaften – Vereinigte Bleicherde-Fabriken AG und Bayerische Aktiengesellschaft für chemische und landwirtschaftliche Fabrikate – bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Heute ist Süd-Chemie ein Global Player. An rund 120 Produktions- und Vertriebsstätten produziert und vertreibt das Spezialchemieunternehmen Adsorbentien (Mittel zur Abtrennung von gasförmigen oder flüssigen Stoffen, z.B. zur Reinigung von Ölen) und Katalysatoren (insbesondere zur Gewinnung von Ammoniak und Methanol).
2009 durchlief die Gesellschaft aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise ein Tal. Die Umsatzerlöse sanken um rund 10 Prozent, das Betriebsergebnis um mehr als 17 Prozent. Schon 2010 übertraf die Gesellschaft aber wieder die Ergebnisse aus 2008. Das Ergebnis je Aktie stieg von 4,88 Euro im Jahr 2008 auf 6,85 Euro im Jahr 2010.
Von dem Wirrwarr des 2005 gestarteten feindlichen Übernahmeversuchs durch den Finanzinvestor One Equity Partners (OEP) hat sich die Gesellschaft schnell erholt. Die guten Ergebnisse riefen den Schweizer Großkonzern Clariant auf den Plan, der Süd-Chemie Anfang 2011 seinem Segment Performance Chemicals einverleibte.
Nachdem sich die Schweizer im Februar 2011 zunächst mit den Altaktionären auf den Erwerb ihrer Anteile geeinigt hatten, kündigten sie im April 2011 ein Übernahmeangebot an die übrigen Aktionäre an. Dieses wurde am 17. Mai 2011 veröffentlicht und beinhaltete das Angebot zum Erwerb der Aktien zum Preis von 126,38 Euro, dem damaligen Börsenkurs. Darin kündigte Clariant zugleich als Folgemaßnahme des Ausschluss der Minderheitsaktionäre (Squeeze-out) an.
Diesen beschloss die Hauptversammlung der Süd-Chemie dann am 22. November 2011. Den Ertragswert des Unternehmens gab Clariant mit 1,369 Mrd. Euro an. Auf die 11,84 Mio. Inhaber-Stückaktien entfiel danach ein anteiliger Betrag von 115,65 Euro. Die Abfindung setzte Clariant dann auf Basis des Volumen gewichteten Durchschnittskurs der drei Monate vor Ankündigung des Übernahmeangebots mit 125,26 Euro je Aktie an.
Das Spruchverfahren
Vor dem Landgericht München I (5. Kammer für Handelssachen, Az. 5 HK O 26513/11) fand ein Spruchverfahren zur Festsetzung der angemessenen Barabfindung statt.
Insgesamt 87 Antragsteller verlangten eine höhere Barabfindung als 125,26 Euro. Vom Ausschluss waren insgesamt 160.551 Stück Aktien betroffen.
Das Gericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Andreas Creutzmann, IVA VALUATION & ADVISORY AG, eingeholt. Dieser bestätigte die Angemessenheit der von der Hauptaktionärin festgesetzten Barabfindung. Das Gutachten was Gegenstand einer am 8. Dezember 2016 anberaumten mündlichen Verhandlung.
Mit Beschluss vom 28. April 2017 hob das Landgericht München I die zu leistende Barabfindung auf 132,30 Euro je Aktie an. Während die Planungsrechnung unverändert blieb, nahm das Gericht Anpassungen am Kapitalisierungszinssatz vor. So wurde der Basiszinssatz an die Verhältnisse am Bewertungsstichtag angepasst und der Wachstumsabschlag entsprechend dem Sachverständigengutachten auf 1,5 Prozent erhöht. Das führte dazu, dass der Ertragswert, den die Antragsgegnerin zuvor mit 115,65 Euro je Aktie angegeben hatte, den bereits abgefundenen Börsenkurs von 125,26 Euro je Aktie überstieg und deshalb das Gericht die Barabfindung trotz der nur relativ geringen Abweichung höher festsetzte.
Hiergegen legten Antragsgegnerin und verschiedene Antragsteller Beschwerde ein, die beim OLG München unter Az. 31 Wx 340/17 anhängig sind. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Anpassungen im Kapitalisierungszinssatz und verlangt insbesondere eine Erhöhung der Gesamtrisikobeurteilung. Jedoch hat das Landgericht den von der Antragsgegnerin selbst zugrunde gelegten Risikozuschlag überhaupt nicht verringert.
Die Kritikpunkte der Antragsteller
Strategie von Clariant: Bereits im Februar 2011 schloss Clariant mit der Süd-Chemie ein Business Combination Agreement (BCA). Denn mit der Clariant Gruppe und der Süd-Chemie verbanden sich zwei in komplementären Bereichen tätige und international führende Unternehmen der Spezialchemie. Hierdurch erwartete Clariant Chancen auf Wachstumsmärkten und die Hebung von Synergien von jährlich 25 Mio. Euro sowie durch Effizienzsteigerung zusätzliches Einsparpotenzial von jährlich 50 bis 70 Mio. Euro. In der Unternehmensbewertung sehen die Antragsteller dieses Potenzial nicht ausreichend abgebildet. Denn an den Synergien soll Süd-Chemie nur zu einem Drittel partizipieren und an den Effizienzsteigerungen sogar nur zu einem Achtel.
Start-ups: Die Planung der Süd-Chemie sah mehrere Start-up-Bereiche vor, insbesondere für Bioethanol der 2. Generation, Cellobiose und Batteriematerialien. Diese wurden von Clariant mit hohen Abschlägen bedacht, um so das Risiko der Eintrittswahrscheinlichkeit abzubilden. Jedoch standen die von Clariant vorgenommenen Abschläge im Widerspruch zur Eigendarstellung des Vorstands der Süd-Chemie.
Planungsrechnung: Darüber hinaus bemängeln die außenstehenden Aktionäre neben der aus ihrer Sicht zu konservativen Planung der zukünftigen finanziellen Überschüsse die zugrunde gelegten Wechselkurse sowie die Verzinsung von Pensionsrückstellungen und Fremdkapital.
Die Parteien
Zuständiges Gericht: Landgericht München I, 5. Kammer für Handelssachen; OLG München
Vorsitzender Richter: VRichterLG Dr. Helmut Krenek; VRichterOLG Rieder
Aktenzeichen: LG München I 5 HK O 26513/11; OLG München 31 Wx 340/17
Antragsgegner: Clariant AG
Antragsgegnervertreter: White & Case – Rechtsanwälte, Steuerberater, Notare, Rechtsanwältin Dr. Julia Sitter, Rechtsanwalt Dr. Alexander Kiefner
Gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Andreas Wirth c/o TaylorWessing Partnerschaft von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Solicitors und Avocats à la Cour mbB, München
Sachverständiger: Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Andreas Creutzmann, IVA VALUATION & ADVISORY AG
Gesellschaft: Süd-Chemie AG; WKN: 729 200 / ISIN: DE0007292005
Der Verfahrensverlauf
Die außerordentliche Hauptversammlung der Zielgesellschaft fasste am 22. November 2011 den Beschluss, „die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre der Süd-Chemie Aktiengesellschaft mit Sitz in München (Minderheitsaktionäre) werden gemäß dem Verfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre (§§ 327a ff. Aktiengesetz) gegen Gewährung einer von der Clariant AG mit Sitz in Muttenz, Schweiz (Hauptaktionär), zu zahlenden Barabfindung in Höhe von EUR 125,26 je auf den Inhaber lautender Stückaktie auf den Hauptaktionär übertragen.“
Infolge des am 30. November 2011 in das Handelsregister eingetragenen Übertragungsbeschlusses sind alle Aktien der Minderheitsaktionäre der Süd-Chemie AG auf die Hauptaktionärin übergegangen.
Vom Squeeze-out sind 160.551 Aktien betroffen. 87 ehemalige Aktionäre haben ein Spruchverfahren vor dem Landgericht München I, Az. 5 HK O 26513/11 zur Bestimmung einer höheren Barabfindung eingeleitet.
Das Gericht hat Beweis zum Unternehmenswert der Süd-Chemie erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Wirtschaftsprüfers Andreas Creutzmann, c/o IVA Valuation & Advisory AG. Dieser hat sein Gutachten am 14. Dezember 2015 vorgelegt. Darin gelangt der Sachverständige zu dem Schluss, dass die von Clarinat angebotene Barabfindung angemessen sei.
Das Gutachten wurde von zahlreichen Antragstellern angegriffen; denn der Sachverständige hatte die Abschläge auf die Start-ups anerkannt und sogar Eigenkapitalkosten von 20 bis 30 Prozent trotz Wachstum von nur einem Prozent angenommen. Den von Hauptaktionären gern vorgenommenen, von der Rechtsprechung aber nicht anerkannten, Aufschlag auf den Basiszinssatz hat der Sachverständige durch einen entsprechenden Aufschlag auf die Marktrisikoprämie ersetzt. Den unternehmenseigenen Betafaktor, welcher grundsätzlich der beste Indikator für den künftigen Betafaktor des Bewertungsobjektes darstellt, hat der Sachverständige wegen mangelnder Liquidität der Aktie der Süd-Chemie verworfen. Dies begründet er mit einem durchschnittlichen Bid-Ask-Spread von 1,38 Prozent, was im Ergebnis jedoch dazu führen würde, dass die Hälfte aller im CDAX gelisteten Aktien als illiquide zu beurteilen wären. Der Sachverständige wurde daher vom Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2016 aufgefordert, Sensitivitätsrechnungen mit variablen Parametern im Kapitalisierungszinssatz zu erstellen.
Mit Beschluss vom 28. April 2017 hob das Landgericht München I die zu leistende Barabfindung auf 132,30 Euro je Aktie an. Hiergegen legten Antragsgegnerin und verschiedene Antragsteller Beschwerde ein.
Das OLG München hat mit Beschluss vom 6. August 2019 die Beschwerden zurückgewiesen, Az. 31 Wx 340/17. In seiner Begründung führt das Gericht aus, dass die Rundung des Basiszinssatzes von 2,8914 auf 3,0 Prozent vor Steuern den aktuellen IDW-Empfehlungen entspreche. Außerdem lehnt das Gericht – wie bereits das LG München I – die These der gleichbleibenden Gesamtrenditeerwartung trotz gesunkener Basiszinsen ab. Das Gericht führt weiter aus, dass es dem Gericht auch nicht grundsätzlich versagt sei, von einem Sachverständgengutachten abzuweichen, auch wenn hieran hohe Anforderungen zu stellen sind. Das Sachverständigengutachten unterliege der freien Beweiswürdigung. Laut OLG München wurde der unverschuldete Betafaktor von 0,98 sachgerecht ermittelt und zuletzt sei auch der mit 1,5 Prozent in Ansatz gebrachte Wachstumsabschlag in der ewigen Rente nicht zu korregieren.
Das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.
Die Termine
22. November 2011- Hauptversammlung beschließt Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Antragsgegnerin gegen Gewährung einer Barabfindung in Höhe von 125,26 EUR je Aktie
29. November 2012 – Mündliche Verhandlung mit Anhörung der Abfindungsprüfer
5. April 2013 – Beweisbeschluss des Landgerichts München I zur Neubewertung der Süd-Chemie AG
14. Dezember 2015 – Vorlage des Sachverständigengutachtens
8. Dezember 2016 – Mündliche Verhandlung mit Anhörung des Sachverständigen Andreas Creutzmann
28. April 2017 – Beschluss des Landgerichts München I (Anhebung der Barabfindung auf 132,30 Euro), Az. 5 HK O 26513/11
21. Juni 2017 – Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 28. April 2017
15. Januar 2018 – Frist zur Begründung bzw. ergänzenden Begründung der Beschwerden
14. April 2018 – Frist zur Erwiderung auf die Beschwerden
15. Juni 2018 – Frist zur Stellungnahme für den gemeinsamen Vertreter
6. August 2019 – Beschluss des Oberlandesgerichts München, Az. 31 Wx 340/17
(Stand: 23. August 2019)
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